Stephan von Wiese
Die Lagune im Sfumato
»Mehr als Ihre schwermütig verschleierten venezianischen Architekturen sind mir Ihre Stilleben mit den ganz entbundenen Farben im Sinn geblieben«, schreibt Ernst Gosebruch am 5. Juni 1952 nach einem Venedigbesuch an Max Peiffer Watenphul. Die Briefkarte von Ernst Gosebruch an Max Peiffer Watenphul befindet sich im Nachlaß des Künstlers. Der ehemalige Essener Museumsdirektor registriert einen prägnanten Wendepunkt der Werkentwicklung. Das Farbfeuerwerk der Stillebengemälde Peiffer Watenphuls wich Anfang der fünfziger Jahre einem neuen Bildtyp, bei dem die Farbe auf heftige Akzente und Kontraste verzichtet, dafür als Farblicht die Konturen der Gegenstände mehr und mehr sfumatohaft auflöst und überstrahlt. Die zwölf Venedigbilder hier in der Weimarer Ausstellung lassen diese Entwicklung nachvollziehen.
Zwölf Jahre lang, von Herbst 1946 bis Herbst 1958, hat Peiffer Watenphul in der Lagunenstadt gelebt. Rund 150 Gemälde mit Venedigansichten entstanden in dieser Zeit, Venedig wurde, nach anfänglichem Zögern, in diesen Jahren zentrales Thema, ohne daß das topographische Gesicht dabei im Vordergrund gestanden hätte. Gegen »Postkartenansichten« hat Peiffer Watenphul vielmehr angemalt, nicht durch Aufstöbern unbekannter romantischer Winkel, sondern durch den ungewöhnlichen Malprozeß. Zwar erschien das Thema Venedig nach Canaletto, Turner, Monet, de Pisis künstlerisch weitgehend verbraucht. Dennoch fand Peiffer Watenphul seinen eigenen Weg. Am herkömmlichen Sujet der Paläste, der Kanäle, der Gondeln und der Segel entzündete sich ein Spiritualisierungsvorgang. Venedig malen wurde zum kontemplativen Malritual in unzähligen Varianten, bei dem der Ausgangspunkt des Malvorwandes, das Gesicht der Stadt, im gesteigerten Farblicht mehr und mehr an Bedeutung verlor. Projektionsflächen für Stimmungen, wie Gosebruch dies missverstand, sind diese Städtebilder nicht. Der Malerei eignet vielmehr ein hoher Abstraktionsgrad, die malerischen Mittel als Malmotiv überspielen mehr und mehr das äußere Sujet. Das Bild der Stadt im Nebel ist nicht ›schwermütig‹, sondern die Farbe erlischt, versinkt oder verdunkelt, glänzt und leuchtet auf.
Peiffer Watenphul hat das Thema Venedig nicht gesucht, wie dies etwa bei Turner und seinen drei gezielten Aufenthalten in der Lagunenstadt der Fall war. Es waren äußere Schicksalsgegebenheiten, persönliche Konstellationen, die den Maler nach Venedig als Zufluchtsstätte verschlagen haben. Aus Österreich mehr oder weniger vertrieben, kam er 1946 dorthin, weil ihm die Schwester Grace, mit dem italienischen Architekten Enrico Pasqualucci verheiratet, hier in ihrer geräumigen Wohnung, nahe der Ca’ d’Oro, Wohn- und Arbeitsraum zur Verfügung stellen konnte. Ohne Papiere war Peiffer Watenphul in einer kalten Herbstnacht über die Alpen fluchtartig hergekommen und konnte nun »ein hübsches Zimmer auf einen kleinen Seitenkanal« beziehen. Brief an Maria Cyrenius vom 19. Oktober 1946, zit. nach Grace Watenphul Pasqualucci und Alessandra Pasqualucci, Max Peiffer Watenphul, Werkverzeichnis, Band 1, Gemälde, Aquarelle, Köln (DuMont Buchverlag), 1989, S. 46.
Die Stadt war dem Maler zuerst fremd, so daß er zunächst aus der Erinnerung an den gewohnten Ischia-Bildern weiterarbeitete: »An Venedig selber traue ich mich noch nicht heran«, heißt es im November 1946. Brief an Maria Cyrenius vom 30. November 1946, zit. nach Grace Watenphul Pasqualucci und Alessandra Pasqualucci, wie Anm. 2, S. 46. Seinem ehemaligen Bauhauslehrer Johannes Itten schreibt er: »Hier in Venedig ist es im Winter bei Kälte und Nässe ein elendes Leben, ich kann kaum malen« (Januar 1947). Brief an Johannes Itten vom 27. Januar 1947, zit. nach Grace Watenphul Pasqualucci und Alessandra Pasqualucci, wie Anm. 2, S. 47.
Im Frühjahr scheint der Bann dann gebrochen: »Seit Wochen male ich Bilder von Venedig, die nun anfangen, ganz gut zu werden. Aber ich mußte erst hineinkommen. Früher malte ich Landschaften, jetzt Architektur, Wasser, Menschen« (Mai 1947). Brief an Maria Cyrenius vom 15. Mai 1947, zit. nach Grace Watenphul Pasqualucci und Alessandra Pasqualucci, wie Anm. 2, S. 48. Noch im November 1947 erscheint der Prozeß der malerischen Aneignung des neuen Themas äußerst mühsam: »Ich bemühe mich ja bei jedem Pinselstrich, ihn so gut zu malen, wie es eben geht, und so mit Sensibilität geladen, wie es eben geht. Merke ich, daß er das nicht ist, wird er abgekratzt. So gehe ich meine Bilder Zentimeter für Zentimeter durch, und es darf keine leere Stelle darauf sein. Wie sehr ich mich hier mit meinen neuen Bildern in Venedig abquäle, kann ich Ihnen gar nicht sagen. Ich arbeite wirklich wie ein Besessener.« Brief an Wolfgang Bingel vom 11. November 1947, zit. nach Grace Watenphul Pasqualucci und Alessandra Pasqualucci, Max Peiffer Watenphul, Werkverzeichnis, Band 2, Zeichnungen, Emailarbeiten, Textilien, Druckgraphik, Photographie, Köln (DuMont Buchverlag), 1993, S. 34.
Auf der XXV. Biennale von Venedig war Peiffer Watenphul mit Beckmann, Hofer, Meistermann, Nay, Nolde, Schmidt-Rottluff, Winter und anderen Repräsentanten der bundesdeutschen Kunst der Gegenwart, ausgewählt von dem deutschen Kommissar Eberhard Hanfstaengl. Das von Peiffer Watenphul – neben weiteren Arbeiten – hierfür ausgewählte Bild ›Venedig‹, noch im selben Jahr von Hanfstaengl für die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen angekauft, vertritt besonders klar die frühe Phase der bildhaften Aneignung Venedigs. Es sei bei den kurzen folgenden Werkbeschreibungen an den Anfang gestellt.
Das in klaren rechteckigen Plänen aufgebaute Bild – die Gondel im Vordergrund, die Palastarchitektur mit der gotischen sechsbogigen Loggia und den Maßwerkpässen im Hintergrund – zitiert zwar signalhaft venezianisches Ambiente, ist aber durchaus keine detailgetreue Vedute. Schon der abstrakte Anschnitt der Bildkomposition – wie mit dem Auge des Photographen gesehen – verunklärt die topographische Situation. Nur mit einiger Mühe läßt sich ermitteln, daß hier die Ansicht des um 1450 errichteten Palazzo Corner-Contarini, unmittelbar neben der Mündung des Rio di Luca in den Canal Grande gelegen, gemeint ist. Die Farbigkeit des Bildes ist weitgehend auf Ocker- und Brauntöne, Schwarz und Weiß reduziert, die malerische Behandlung der Details belegen zum Beispiel die summarischen Ockerstriche für das Motiv der fünf Anlegepfosten. Die Architekturkulisse wirkt wie ein gemalter Vorhang, auf einem schwarzen Proszenium gleitet die das Bild verklammernde Gondelfigur vorbei, die unter dem weißen Baldachin eine geheimnisvolle Fracht zu befördern scheint. Die Webstruktur der Machart liegt offen zutage, der Duktus der Pinselstriche ist deutlich als malerische Umsetzung des Sujets erkennbar.
Die ausgefilterte Farbigkeit und das Verschwimmen der Details mögen ein Hinweis auf das neblige winterliche Venedig sein, wie es der Maler in seinem Text ›Ein neues Venedig‹ 1952 beschrieben hat: »… die dunkelste und schwärzeste Stadt … eine Komposition aus Schwarz-Weiß ohne jede Farbigkeit«. Max Peiffer Watenphul, Ein neues Venedig, zuerst publiziert in der Tageszeitung Der Mittag, Düsseldorf, 31. Januar 1952, zit. nach Grace Watenphul Pasqualucci und Alessandra Pasqualucci, wie Anm. 2, S. 57. Es reflektiert sich hier aber auch das graue Kolorit, das die ersten Nachkriegsjahre in der deutschen Malerei vorwiegend bestimmt hat: Stadtlandschaft war im künstlerischen Bewusstsein immer auch Ruinenlandschaft, nach Auschwitz verbot sich das farbige Jubilieren. Wie Peiffer Watenphul dennoch in Venedig zum Leuchten der Farben bald zurückfand – in anderer Form als in den heiter optimistischen Vorkriegsbildern –, belegen die beiden ein Jahr auseinanderliegenden ›Ca’ d’Oro‹-Bilder von 1949 und 1950.
Das Hochformat von 1949 und das Querformat von 1950 zeigen das architektonische Meisterwerk der venezianischen Spätgotik mit angeschnittenen Versatzstücken der Loggia de Pescheria am gegenüberliegenden Ufer. Bei dem früheren Bild ist das Vordergrundmotiv schwer und lastend, die Ansicht der Ca’ d’Oro bleibt ohne besonderes Gewicht im Hintergrund. Die architektonischen Linien weisen Gratigkeit und Schärfe auf, die Farbigkeit dagegen ist blaß, tonlos, der Pinselstrich trocken und dünn, so daß der Farbgrund der Leinwand bräunlich präsent bleibt. Die polychrome Marmorfassade des Palastes mit den drei übereinandergesetzten Loggien und dem vielfältigen Maß- und Zinnenwerk inspirierte den Maler in der zweiten Fassung dagegen zu einer sublimen Farbigkeit, die Farben gewinnen perlmutthaften Glanz, die Blautöne des Wassers und des Himmels sind nun ein leuchtender Rahmen für das prunkvolle Gebäude, das dadurch wie ein Geschmeide eingefasst ist. Der Duktus der strähnen- und punktförmigen Pinselstriche aber zeichnet sich nach wie vor deutlich ab, ein Flimmern, Schwirren, Funkeln liegt über der Szene, die Konturen werden zunehmend unscharf. Die Gondeln stehen als schwarze kontrastierende Silhouetten vor farbig aufstrahlendem Grund. Das Beleuchtungslicht der topographischen Szene wandelt sich zum Farblicht – um die Terminologie von Wolfgang Schöne Vgl. Wolfgang Schöne, Über das Licht in der Malerei, Berlin 1954, S. 210. aufzugreifen –, denn es sind die Farben selbst, die hier ohne äußere Lichtquelle aus sich heraus feierlich leuchten: »Aber ich möchte jetzt doch in meinen Bildern etwas anderes, als ich früher wollte, wo ich mich leichter zufrieden gab und schon froh war, wenn mir einige pikante Farbreize und etwas Kokettes gelang. Und jetzt möchte ich eben doch sehr viel tiefer gehen und eine umfangreiche geistige Welt aufbauen«, Brief an Richard Parrisius vom 7. Juli 1949, zit. nach Grace Watenphul Pasqualucci und Alessandra Pasqualucci, wie Anm. 6, S. 36. schrieb Peiffer Watenphul in einem Brief vom Juli 1949 über seine künstlerische Intention.
Diese Spiritualisierung des Motivs im Sfumato und im Farblicht erfüllte sich bereits 1950 in Bildern wie dem ›Ca’ d’Oro‹-Querformat.
Zur Wertung der künstlerischen Intention ist die Kenntnis der Arbeitsweise Peiffer Watenphuls aufschlußreich. Der Künstler hat wohl auch zeichnerische Skizzen der topographischen Situationen zur späteren Umsetzung ins Bild angefertigt. Häufig, wenn nicht sogar meistens, sind die Bilder aber vor allem anhand des Materials von zusammengetragenen alten und neuen Photos fremder Hand, Reiseführern wie demjenigen des Touring Club Italiano und schließlich auch nach Postkartenabbildungen entstanden, Dieses Material befindet sich im Nachlaß des Künstlers. und dies erstaunlicherweise trotz des Votums des Malers gegen Photoklischees: »Es ist alles so unglaublich oft photographiert worden und auf Postkarten abgebildet worden, daß es einem wirklich davor graut, immer wieder die übliche Vedute von San Giorgio, der Piazza oder dem Rialto zu sehen. Ich habe mich ein ganzes Jahr bemüht und immer wieder alles, was ich an einem Tag gemalt habe, abends zerstört, nur weil es mir einfach nicht gelingen wollte, alle diese so unglaublich oft abgebildeten Dinge neu zu sehen und eine persönlich gefärbte Darstellung von ihnen zu geben«, heißt es 1952 in ›Ein neues Venedig‹. Vgl. Max Peiffer Watenphul, Ein neues Venedig, wie Anm. 7. Dann hat der Künstler jedoch erkannt, daß die Überwindung der Postkartenansichten gerade durch deren Verwendung und damit Veränderung möglich ist, denn nicht das Motiv war ja künstlerisch gemeint, sondern die verwandelnde Kraft der Malerei. Was auf dem Photo auf nur allzu oft wiederholende Weise klar und exakt festgehalten ist, wird vom Maler aus dem Tageslicht herausgelöst und in das vibrierende Licht der Malerei gestellt.
Diese verändernde Kraft der Malerei wird an den beiden Bildern ›Palazzo Dario‹ von 1950 und ›Ca’ di Desdemona‹ von 1951 erneut offensichtlich. Aus dem Architekturmotiv – wie es der Reiseführer beziehungsweise die historische Photovorlage, die hier wohl Verwendung fanden, festhalten – entstanden, schon durch die willkürlichen Anschnitte und die damit einhergehende Auflösung des räumlichen Kontextes, Felder der Malerei. Die Fassade des Palazzo Dario aus der Frührenaissance mit ihrer asymmetrischen Anordnung ist gleich neben den rosettenförmigen Porphyrscheiben abgeschnitten, auf der anderen Seite wurde ein Teil des angrenzenden Palazzo Barbaro-Volkoff mit ins Bild gebracht. Der dunkle Schacht zwischen den Palazzi dringt so geheimnisvoll fast ins Zentrum, wie das gesamte Gemälde vom Dunkel umfangen ist. Je nach dem Grad ihres Farblichts leuchten die einzelnen Motive auf. Die schmale ›Ca’ di Desdemona‹-Version, laut Volksmund das Haus der Desdemona aus Shakespeares ›Othello‹ – eigentlich Palazzo Contarini-Fasan –, ist im Bild durch den violetten Farbklang hervorgehoben, Echo der Farbtöne des Wassers und des Himmels. Die Nachbarpaläste sind wieder willkürlich abgeschnitten, ebenso wie die schwarzen Bootskörper der Gondeln im Vordergrund. Die Poesie der Farbe hat von dem Motiv Besitz ergriffen.
Die beiden fast identischen Hochformate mit dem Titel ›Canal Grande‹ von 1955 und 1957 arbeiten noch stärker mit eingeschränkten, minimalisierenden Farbkontrasten. Das Gemälde ist jeweils auf einen bestimmten Farbton eingestimmt, der alle Bildzonen mit monochromer Tendenz überspielt. Das Gemälde von 1955 ist topographisch nicht mehr lokalisierbar. Ein türkisblauer Farbklang ergreift vereinheitlichend alle Bildgegenstände, sowohl die beiden dominanten Anlegepfosten mit ihren dialogen Markierungsringen im Vordergrund als auch Wasser, Wolken, Architektur. Selbst die Silhouetten der Gondeln sind türkisblau durchwirkt. Die Faktur der Pinselzüge bleibt, Strich für Strich gesetzt, deutlich ablesbar und scheint sich von den Gegenstandsformen mehr und mehr zu lösen. Die Szene steht in einem Flimmerlicht, das die Konturen auflöst. Beim Hochformat von 1957 läßt sich der Ort noch identifizieren, bei den Gebäuden handelt es sich um die Ca’ da Mosto mit ihren beiden veneto-byzantinischen Untergeschossen aus dem 12. Jahrhundert, um die Casa Dolfin sowie schließlich um Teile des Palazzo Bollani-Erizzo, in dem angeblich Aretino lebte. Doch diese geschichtlichen Differenzierungen sind unerheblich, die Architektur aller Palazzi wird vom Maler durch Verengung und Längung der Arkaden und Fenster einander angeglichen, ein braun-violetter Farbton flutet wie Wasser über das gesamte Bild, die Details sind bewusst verunklart. Für dieses Bild hat sich eine vorbereitende Bleistiftskizze von 1956 erhalten, Vgl. Grace Watenphul Pasqualucci und Alessandra Pasqualucci, wie Anm. 6, Wv.-Z 480. die in den Einzelheiten der Architektur noch wesentlich präziser ist und die Fassadenfarben knapp notiert.
Eine solche Zeichnung von 1956 ist auch für die beiden Querformate von 1956 ›Venedig, Canal Grande bei Nacht‹ und ›Venedig, Paläste am Canal Grande‹ überliefert, Vgl. Grace Watenphul Pasqualucci und Alessandra Pasqualucci, wie Anm. 6, Wv.-Z 479. wobei das Nachtbild an der rechten Seite im Ausschnitt enger gefasst ist. Das Tagbild gibt dagegen die gesamte Häuserfront, wie sie auf der Zeichnung festgehalten ist, wieder:
Palazzo Corner-Contarini, Palazzo Tron, Palazzo Barzizza, Palazzo Busenelli-Giustinian. Wir kennen diese topographische Situation schon aus dem oben besprochenen Bild ›Venedig‹ von 1950. Während das Nachtbild durch Weißhöhung alle architektonischen Zierkörper wie Arkaden, Balkonbalustraden, Zierzinnen wie malerischen Spitze zu einem dunkleren Fond in Kontrast setzt, steht über dem gesamten Tagesbild ein malerischer Nebel, das ganze Gemälde versinkt in Grau- und Olivtönen.
Nicht lokalisieren lassen sich die beiden spätesten Venedigbilder in der Ausstellung ›Venezianische Paläste‹ und ›Venedig, Palast und Segelboot‹, beides Werke von 1957. Bei ›Venedig, Palast und Segelboot‹ trägt die grobe Leinwandstruktur, wie zuvor bei Peiffer Watenphuls erstem geistigen Lehrmeister, Paul Klee, vereinheitlichend in Erscheinung. Die dünn aufgesetzten Farbtöne geben den Bildgegenständen nur eine schemenhafte Präsenz. Verschwommen wie eine Wasserspiegelung erscheint auch das hart die Architektur in den oberen Stockwerken abschneidende Bild der venezianischen Paläste, das sich in seiner Blaustichigkeit als ein Bild frühester Dämmerung mit noch ausgeblendeter Farbigkeit ausweist.
Peiffer Watenphuls Venedigbilder mit ihren Farbexperimenten, welche die Szene mehr und mehr verschleiern und in reine Malerei tauchen, sind im Kontext der figurativen Kunst der 50er Jahre ebenso eigenständig wie unabhängig. Sie haben zum Beispiel wenig gemein mit den Städteporträts von Oskar Kokoschka, die topographische Besonderheit expressiv akzentuieren. Die Bilder sind einerseits figurativ im Gegenständlichen verhaftet, zeigen andererseits abstrahierende Tendenzen in der Faktur der Malerei sowie in den bildnerischen Problemstellungen.
Ihren besonderen Stellenwert in der Kunst des 20. Jahrhunderts bekommen die Gemälde, wenn man sie als Vorläufer der Photomalereien von Gerhard Richter diskutiert, die ähnlich bewusst das ›Phänomen der Unschärfe‹ kultivieren: »In Richters Photomalereien bewirkt das gesteigerte Flimmern, daß das Medium präsent bleibt und in der Rezeption nicht übergangen werden kann … Der technische Mangel an Unschärfe funktioniert in der Malerei ähnlich wie das Rauschen bei der Übermittlung der Botschaft … Was im Nebel der Unschärfe erscheint, wurde nicht fixiert und bleibt im problematischen Zwischenzustand von Erscheinen und Verschwinden.« Vgl. Oskar Bätschmann, Gemalte Irritationen. Gerhard Richters Prinzip der Unschärfe, in: Neue Zürcher Zeitung, Internationale Ausgabe Nr. 265, vom 14./15. November 1998, S. 49.
Solche Zwischenzustände halten auch Peiffer Watenphuls Venedigbilder fest. Farblicht und Farbschleier heben die Bilddetails aus dem Malgrund heraus oder verschleifen die Bildkontraste. Wie Richter hat Peiffer Watenphul eine Art ›Atlas‹, auf den er bei seinen Malexperimenten zurückgreift: Postkarten, Photos fremder Photographen, eigene zeichnerische Notizen. Diese Vorlagen liefern äußere Daten, die Malerei überführt sie dann in den farbigen Schwebezustand von ›Erscheinen und Verschwinden‹, von Materialität und Spiritualität, die diese Arbeiten auszeichnet.
In: Max Peiffer Watenphul. Von Weimar nach Italien. Hg. von Walter Steiner und Mario-Andreas von Lüttichau. Publikation zur gleichnamigen Ausstellung im Bertuchhaus und im Kunstkabinett am Goetheplatz, Weimar 1999. DuMont, Köln 1999.
© Dr. Stephan von Wiese
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors.