Michael Semff
Max Peiffer Watenphul – Zeichnungen des Südens
Max Peiffer Watenphuls Ruhm gründet in seiner Farbkultur und im fast klassisch zu nennenden Gleichmaß, die seinen subtil gebauten Landschaftskompositionen ihren spezifischen Klang verleihen. Ähnlich wie matt schimmernde, in den Bildgrund gebettete Intarsien, entbehren die dominierenden Farbfelder in Gemälden und Aquarellen jeder leuchtenden Äußerlichkeit: die dunklen, bauchigen Schirme der allgegenwärtigen Pinien, die schlanken, wie umgekehrte Rufzeichen vor dem Grund stehenden Formen der Zypressen, die unterschiedlich blauen Flächen von Meer und Himmel, die hellen Fassaden der Häuser in Marokko. Fast alle seiner Bilder wirken, als befände sich zwischen ihnen und dem Betrachter eine unsichtbare Membran, ein atmosphärischer Schleier, der die Farben indirekt macht, als seien sie durch eine Art Sfumato in die Aura der Distanz und Zeitlosigkeit gerückt. Es sind überwiegend Bilder, die in umfangreichen Folgen neben dem Thema des Stillebens das der Landschaft des Südens variieren. Die Strenge ihres inneren Gerüstes, den gebändigten Rhythmus ihrer Formelemente und die Noblesse ihrer Farbe hat sich der Maler über Jahrzehnte hart erarbeitet, auf der Suche, seinen bevorzugten Sujets wesenhaften Ausdruck zu verleihen. Das gegenständliche Inventar kehrt in jeder seiner Arbeiten ähnlich wieder. Die Reduktion weniger prägnanter Motive, ihre Harmonisierung in teilweise ungewöhnlich schmalen Bildformaten und die mit kaum einem zweiten deutschen Maler seiner Generation vergleichbare koloristische Empfindsamkeit bedingen einen hohen Grad der Wiedererkennbarkeit im Sinne eines unverwechselbaren Personalstils. Peiffer Watenphul hat es vermocht, der mediterranen Landschaft ein gültiges Bild abzuringen, dessen in hohem Maße kunstvolle Stilisierung zu einer Ästhetik der »höheren Einfachheit« führte.
Den Maler und Aquarell-Meister vor Augen lohnt es, auch einen Blick auf den fast unbekannten Zeichner zu werfen. Peiffer Watenphul hat seinen Zeichnungen durchaus autonomen Rang zugebilligt, hat sie in der Regel signiert, beziehungsweise monogrammiert, sowie nicht selten minutiös datiert, wobei Namenszug oder Initialen ähnlich denen auf Zeichnungen Morandis meist übergroß ins Bild gesetzt erscheinen. Dennoch hat er sie der Öffentlichkeit zu Lebzeiten eher vorenthalten. In Ausstellungen und Publikationen erschienen sie überwiegend als marginale Splitter neben dem Spektrum seines malerischen Œuvres. Diese Vernachlässigung konnte mit dem Erscheinen von Band 2 des Werkverzeichnisses relativiert werden, das über zwölfhundert Zeichnungen (einschließlich der Skizzenbuchblätter) erfasst, was der Zahl der erhaltenen Aquarelle des Künstlers annähernd entspricht. Max Peiffer Watenphul. Werkverzeichnis, Band 2. Hg. von Grace Watenphul Pasqualucci und Alessandra Pasqualucci, Köln 1993.
Peiffer Watenphuls Zeichnungen, die diese Ausstellung erstmals in den Mittelpunkt rückt, eignet ein den Gemälden durchaus analoger, zuweilen fast experimentell zu nennender Umgang mit den verwendeten Materialien. Die spröde, oft ungelenk-ruppige Strichführung offenbart eine Rücksichtslosigkeit, mit der sich der Zeichner in ungefilterterer Weise als der Maler der Natur ausliefert. Mit Bleistift, Feder, Holzstäbchen, Kreide, Farbstift, Rötel, seit den Fünfzigerjahren auch mit Kugelschreiber bearbeitete der Künstler seine Papiere, deren unterschiedliche Textur und Färbung die Wirkung jedes einzelnen Blattes und seiner graphischen Reize mitbestimmt. Er lässt den Bildträger mitsprechen, ja kalkuliert die nackte Materialität von handgeschöpftem Bütten mit seinen unregelmäßig ausfransenden Rändern und seiner zwischen warmen und kalten Tönen weitgefächerten »Farbtemperatur« ebenso als Vehikel für seine individuelle Ästhetik wie die Grobporigkeit der in vielen Fällen unbearbeitet durchscheinenden Leinwand seiner Bilder mit ein.
Die Zeichnungen dieses Künstlers sind überwiegend ungebunden, spiegeln aber immer wieder auch den unmittelbar zu einem Gemälde führenden Werkprozess beziehungsweise dessen kompositorische Vorbereitung. Von den in der vorliegenden Publikation [M. Semff, Max Peiffer Watenphul, Zeichnungen des Südens, Kat. Ausst. München 2007] erfassten Arbeiten können insgesamt 14 Zeichnungen als Vorstudien sowohl für Gemälde als auch für Aquarelle identifiziert werden. Insbesondere die seit 1947 in Venedig entstandenen Bleistiftzeichnungen sind zum großen Teil Studien zu Gemälden, was die häufigen Farbangaben bezeugen. Bezüglich des Verhältnisses zwischen Zeichnung und Malerei im Werk dieses Künstlers fällt auf, dass es bei einem seiner bevorzugten Themen, dem Stillleben, zwar eine größere Anzahl von Aquarellen, kaum aber vorbereitende Zeichnungen gibt. Demgegenüber findet sich eine bedeutende Gruppe an Zeichnungen von Berglandschaften, ohne dass dieses Thema eine nennenswerte malerische Beschäftigung nach sich gezogen hätte. Siehe hierzu den Beitrag von Susanne Wagini in diesem Katalog, S. 17 ff. [M. Semff, Max Peiffer Watenphul, Zeichnungen des Südens, Kat. Ausst. München 2007]. Eine gezeichnete Landschaft Landschaft bei Anif (Z 14) zeigt 1920 erstmals das Motiv von schroffen Bergen in Verbindung mit Häusern, wie es in vergleichbarer Weise in den späten Vierzigerjahren wieder auftaucht.
Die anregende Triebkraft des Schöpferischen war für Peiffer Watenphul stets der visuelle Eindruck. Auf ungezählten Reisen, die er seit den Zwanzigerjahren in Europa, Afrika und Mexiko unternahm, war er rastlos auf der Suche nach Landschaften und Stadtarchitekturen, die ihn künstlerisch motivieren konnten. Mit feinstem Sensorium reagierte er auf die unterschiedlichen Örtlichkeiten und Charaktere von Landschaft, wobei seine hochgesteckten Ansprüche, seine Hoffnungen und Visionen nicht selten enttäuscht wurden. Sein Bild vom archaischen Italien war ein zutiefst verinnerlichtes, in seiner geistigen Vorstellung bereits längst vorhandenes. Es bedurfte nur jedes Mal von Neuem der Anstrengung, es sich vor dem Motiv gleichsam zu rekonstruieren. Sich der Landschaft auszusetzen, hieß für den Maler nichts anderes, als sich ihrer elementaren Bausteine vor der Natur immer wieder zu versichern, um von diesem Fundament aus zu deren streng organisierter Choreographie im Bild vorzustoßen. Es ging ihm um nichts als die Abstraktion der Summe dieser Bausteine hin zu einer zeichenhaften Einbindung und Verdichtung des Bildgefüges.
Seine Italienreise 1936 und die im Jahr darauf erfolgte Übersiedlung in dieses Land markieren den Beginn jener eindrucksvollen Reihe von Zeichnungen mit Landschaften aus Sizilien und Ischia, die neben den Gemälden und Aquarellen ihren ganz eigenen Klang im Œuvre behaupten. Als Solitär unter den erhaltenen Blättern hat die Landschaft bei Latina (Z 53) zu gelten, deren ungewöhnlich lineare Anlage wie in keiner zweiten Zeichnung des Künstlers an die Nüchternheit und Schärfe eines Architekturrisses denken lässt. Von ferne mag man sich an die gläserne Transparenz mancher Zeichnungen erinnert fühlen, die Jacob Philipp Hackert hundertfünfzig Jahre vorher in der gleichen Gegend schuf.
Unter den Motiven Siziliens war Peiffer Watenphul besonders von Cefalù fasziniert, diesem vor majestätischer Bergkulisse an der Nordküste der Insel gelegenen Ort mit seinem berühmten Normannendom. In den Cefalù– und Ischia-Blättern bis 1940, bei denen die Zeichnung vorwiegend mit Feder und Tusche in kraftvollen Konturen auf unterschiedlich getönten Büttenpapieren steht, verweigert der Künstler sich alles, was nur in die Nähe herkömmlicher Schönheit führen könnte: jegliche Eleganz des Lineaments, jede Kantilene einer »Handschrift«. Stattdessen pflegt er mit geradezu störrischer Insistenz die Trockenheit der Machart und strebt danach, sich unablässig »Widerstände« in seinem zeichnerischen Gefüge zu schaffen. Alle Bausteine des jeweiligen Sujets werden ernst genommen, gewissermaßen »wörtlich« erfasst. Es herrscht eine Ästhetik, welche die vorgestellten Dinge benennt, sie aber nie kaschiert oder beschönigt.
Der Kampf mit den verschieden gestaffelten Bildplänen, die latente Verknüpfung von Nähe und Ferne, von Detail und Ganzheit, die eigentümlichen Verschiebungen in der Proportion der Bildausschnitte, in der Wertigkeit von Fläche und Raum sowie das permanent vertauschende Spiel zwischen Positiv- und Negativteilen, all das führt in diesen Blättern zu einer wild-erregten, bisweilen dramatischen Spannung. Die Feder kratzt um die Konturen von Baumstämmen und umkreist spröde die Formen von Berg-, Felsformationen und Häusern mit der gleichen linearen Wertigkeit wie diejenige von Wolken oder Segeln. Es dominiert die leere Umrisszeichnung bar jeder Angabe von Schattenzonen. Breitmaschige Schraffuren verwendet der Zeichner nur zur Akzentuierung bestimmter Formfelder beziehungsweise zu deren toniger Einbindung in den Flächenplan. Peiffer Watenphul übersetzt die pittoreske »Postkarten«-Schönheit seiner Sujets, Der Künstler bediente sich durchaus auch solcher Postkarten als Vorlage bzw. zur Kontrolle, wie erhaltene Ansichtkarten mit Motiven aus Venedig bezeugen. so etwa der berühmten »Spiaggia degli Inglesi« auf Ischia, mit einer fast teutonisch zu nennenden Härte, Kargheit und Ernüchterung. Die üppig wuchernde Vegetation von Palmen oder Agaven wird wie in den Urwaldbildern des verehrten Rousseau Blatt für Blatt umrissen und ähnlich den Baumkronen und Pinienschirmen ohne jede Geschmeidigkeit objektiviert. Peiffer Watenphul sucht nicht nach Übergängen oder summarischen Verbindungen im Rhythmus des Landschaftlichen. Stattdessen werden Bäume und Buschkonglomerate vom Bildrand angeschnitten, überlagern und verdichten sich in zuweilen geradezu unharmonischen Gewichtungen. Keine Handspanne dieser Zeichnungen wirkt – etwa durch Komposition oder Farbe – harmonisiert beziehungsweise stilisiert wie in den Gemälden. Auch herrscht keinerlei Tendenz zu einem Lyrismus, wie ihn etwa der Künstlerfreund Werner Gilles in seinen Strand- und Fischerzeichnungen aus Ischia pflegte. Die Kunst Peiffer Watenphuls entbehrt jener Verzauberung von Landschaften, Szenerien, Figuren und Dingen in etwas »Legendäres«, »Mythisches«. Werner Haftmann, Malerei im 20. Jahrhundert, 4. Aufl. München 1965, S. 462. Ein besonderer Reiz seiner Zeichnungen des Südens gründet in der Tatsache, dass sie in ihrem »untrennbaren Zusammenwirken von subjektivem Ausdruck und materiellem Charakter« Margret Stuffmann, Gedanken zum Umgang mit Zeichnung unserer Zeit (anlässlich der Vorstellung von »Zehn Meisterzeichnungen – Neuzugänge der Graphischen Sammlung« am 27. November 1996 in der Neuen Pinakothek München), München 1997, S. 6. gerade nicht einem kanonischen Klassizismus huldigen, wie ihn der Maler in seinen Bildern hochgezüchtet hat, wobei sie jenen Stil des »Disharmonisch-Harmonischen« jedoch geradezu in extenso beschwören, von dem Gustav René Hocke so eindringlich sprach. Gustav René Hocke, Max Peiffer Watenphul. Persönlichkeit, Leben, Werk, Stuttgart 1976, S. 20.
Bereits in den Dreißigerjahren sind Blätter zu finden, bei denen sich die fast unmerkliche Einbindung der Bildmotive in einen Flächenkontext durch gleichmäßig lineare Belebung der Leerflächen (Himmel, Meer) vollzieht. Das nur scheinbar absichtslos wiederholte Gestrichel, die Kritzeleien, Punkte oder Tuschespritzer, welche sich zuweilen wie Schimmel über die Fläche breiten, wirken wie somnambule »Bewegungsspuren der Hand«. Bernd Krimmel, Innenbilder, in: Ausst. Kat. Max Peiffer Watenphul. Gemälde – Aquarelle – Zeichnungen, hg. von Bernd Krimmel, Kunsthalle, Darmstadt, Darmstadt 1972, S. 22. Hier gewinnt jedes Kunstmittel Peiffer Watenphuls erstmals Gestalt, das weder in Gemälden noch Aquarellen dieser Jahre begegnet, aber seit der Zeit um 1950 fortlaufend sämtliche bildnerischen Gattungen des Künstlers prägt. Wir gewahren Ähnliches bei Zoran Music, mit dem Peiffer Watenphul seit seinem längeren Venedig-Aufenthalt freundschaftlich verkehrte. Jedoch ist der stärker ornamentale Zug unübersehbar, welcher bei den die Bildgründe belebenden Graphismen in Musics Gouachen und Gemälden seit den späten Vierzigerjahren unmittelbar an Byzantinisches denken lässt und zuweilen den Glanz kostbarer Materialien heraufbeschwört. Was bei dem Deutschen auf den ersten Blick als Mittel zur Suggestion von Atmosphäre im naturalistischen Sinn interpretiert werden könnte, entpuppt sich schon in den Zeichnungen der Dreißigerjahre als bildnerische Methode, den Gegenstand wie hinter einem Schleier zu halten, der das Licht filtert und den anschaulichen Charakter jeder Darstellung prägt, den Klang von Melancholie und Versunkenheit anstimmt. In der Art und Weise, wie dieser Klang (auch in den Gemälden) nicht einzig durch die Farbe, sondern im Zusammenspiel mit Elementen des Zeichnerischen bewirkt wird, erweist sich die so unverwechselbare Individualität Peiffer Watenphuls.
Vielleicht war nicht zufällig eines der entscheidenden Erlebnisse des jungen Künstlers seine Entdeckung der »Kritzeleien« Paul Klees, was er 1949 kommentierte: »Als ich als ganz junger Student im Jahre 1915 eine Ausstellung der Kunsthandlung Goltz besuchte, fielen mir dort Zeichnungen auf, wie ich sie bisher nie im Leben gesehen hatte. Sie sahen von weitem aus wie kindliche Kritzeleien oder Muster, wie man sie oft auf Wänden und Martern von Laien hingesetzt sieht. Die kleinen Zeichnungen faszinierten mich derartig, dass ich fast jeden Tag in die Galerie Goltz ging und wie gebannt vor ihnen stand. Es war dies meine erste Begegnung mit dem Werk von Paul Klee.« Max Peiffer Watenphul, Erinnerungen an Paul Klee (Venedig 1949), in: Werkverzeichnis, Band 2, 1993, S. 36–40. Ab 1921 – während seiner Zeit am Bauhaus – besuchte Peiffer Watenphul den Künstler des Öfteren. Auch an diese Begegnungen erinnerte er sich später, wobei er den »Reichtum seines Gestaltungsvermögens« sowie Klees Vorliebe für die »sonderbarsten Materialreize« hervorhob und seinen experimentierenden Geist des Zeichnens und Kritzelns, des Herumkratzens und Spachtelns in der artistischen Aneignung und Verwandlung heterogenster Materialien beschrieb. Ebd., s. S. 38. So erscheint es durchaus zwingend, die permanente Gegenwart linearer Spuren im zeichnerischen wie malerischen Œuvre Peiffer Watenphuls vor diesem Hintergrund des Primärerlebnisses Paul Klee zu sehen. Am 18. Januar 1950 berichtete er Maria Cyrenius aus Venedig von einer Woche, die er in Cortina verbrachte: »Ich male sehr viel und zeichne neuerdings auch mit viel Lust. Meine Nichten sagen aber, dass es Kritzeleien seien, und das sollen sie auch sein. Aber eben auf einer ganz anderen Ebene!« Werkverzeichnis, Band 1, 1989, S. 55. Diese »ganz andere Ebene« wird in der eindrucksvollen Reihe seiner Gebirgszeichnungen Siehe in diesem Katalog den Beitrag von Susanne Wagini, S. 17 ff. [M. Semff, Max Peiffer Watenphul, Zeichnungen des Südens, Kat. Ausst. München 2007]. wie auch seiner Venedig-Bilder nachvollziehbar, in welchen – mal zupackender, mal zarter – gestische Graphismen die Papierbögen und Leinwände überziehen und diesen im Zusammenhang mit dem Farbton des jeweiligen Bildträgers bestimmenden Ausdruck verleihen, sie nicht selten in düster-dramatische Schwingung versetzen. Gelegentlich in der Literatur hervorgehobene Analogien mit künstlerischen Methoden des Tachismus bzw. der »arte povera« mögen in ihrem Zeitbezug durchaus nachvollziehbar erscheinen. (Siehe hierzu Hans-Werner Schmidt, in: Ausst. Kat. Max Peiffer Watenphul. Italienbilder, hg. von Hans-Werner Schmidt, Kunsthalle zu Kiel 1993 und Städtische Sammlungen, Schweinfurt 1994, Kiel 1993, S. 8–9). So erinnern manche von Peiffer Watenphuls Graphismen äußerlich an die durch die quasi absichtslose Bewegung der Hand resultierende Entleerung in Cy Twomblys Zeichnungen seit den Fünfzigerjahren. Dennoch sind sie bei dem Deutschen für ein bildnerisches Ziel eingesetzt, sind im Kontext von Sujet, Raum, Fläche und Farbe keineswegs intentionslose »Kritzeleien«.
Es fällt nicht leicht, die Zeichnungen dieses ausgeprägten Einzelgängers im kunsthistorischen Kontext zu verorten. Von Gilles’ so unterschiedlichem Temperament, seinem spezifisch dichterisch-metamorphotischen Zugriff war bereits die Rede. Auch die fast expressiv-kraftvoll gesetzte »lyrische Bilddichtung mit Wirklichkeitszeichen« Werner Haftmann, Verfemte Kunst: Bildende Künstler der inneren und äußeren Emigration in der Zeit des Nationalsozialismus, Köln 1986, S. 461. eines Werner Heldt oder die auf Ischia entstandenen Rohrfederzeichnungen Eduard Bargheers in ihrem zartgliedrigen, eher kleinteilig-bauenden Strichgefüge, das sich immer gegenstandslosen Strukturen annähern kann, entbehren der drastischen, charaktervollen und nichts ästhetisierenden Unmittelbarkeit der Naturumsetzung, wie sie Peiffer Watenphuls Blätter vor Augen führen. Zur Kunst des deutlich älteren Hans Purrmann lassen sich vermutlich am ehesten Parallelen aufzeigen, zumal in der Verflechtung mit französischen Traditionen. In diesem Zusammenhang ist Peiffer Watenphuls Bericht über seine Reise nach London in einem Brief vom April 1936 aufschlussreich, in welchem er zunächst seiner Bewunderung für Turner Ausdruck verlieh, um dann hinzuzufügen: »Daneben herrliche Bonnards – meine neueste (sic) große Schwäche. Viel sensibler als Matisse.« Brief an Maria Cyrenius, Salzburg, abgedruckt in: Werkverzeichnis, Band 2, 1993, S. 28 f. Wenn auch letztere Feststellung vermutlich nicht in Purrmanns Sinn gewesen wäre, kann es als wahrscheinlich gelten, dass Peiffer Watenphul nicht nur den Maler Bonnard, sondern auch den Zeichner schon damals kannte und schätzte. Jedoch fällt schwer, beider Mentalität in ihren Zeichnungen in direkten Vergleich zu setzen Siehe Krimmel (wie Anm. 8), S. 22. oder gar eine Vorbildlichkeit der graphischen Kunst des Franzosen zu konstatieren. Denn ungleich weicher timbriert erscheint das kreidige, Vuillard nicht unähnliche Strichbild Bonnards gegenüber der in jedem Detail schärferen, spitzeren Linienakzentuierung des Deutschen.
Nach Kriegsende gelangte Peiffer Watenphuls den südlichen Motiven verpflichtete Zeichenkunst mit vielen Einzelblättern und hunderten von Skizzenbuchzeichnungen zu reicher Entfaltung. Sie entstanden vor allem in Venedig, Rom, Marokko und immer wieder auf Ischia, seit 1961 erstmals in Griechenland und seit 1964 mit Vorliebe auf Korfu. Ein Jahr zuvor hatte sein Schwager das Landhaus »Il Pero« in der südlichen Toskana erworben, wohin der Maler »nur immer für kurze Zeit« kam: »… die Landschaft war ihm zu herb und zu wild, er zog Korfu und Süditalien vor …« Grace Watenphul Pasqualucci, Erinnerungen an meinen Bruder, Max Peiffer Watenphul, in Ausst. Kat. Wuppertal 1991, S. 29 f.
Anfang der Siebzigerjahre schuf der Künstler, der seitdem aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr malte, gerade in dieser seinem Naturell nicht unmittelbar entsprechenden Landschaft der »Crete di Siena«, die in der Zeit vor 1950 neben Venedig ein Nährboden für die Kunst von Music war, seine letzten Arbeiten. In zwei Landschaften Am Pero (Z 656, 657) in Feder und brauner Tusche fand er zu ungewöhnlich kühnen Setzungen. Kein größerer Gegensatz ließe sich zu ihnen denken, als die kühle Disziplin der 37 Jahre zuvor gezeichneten Landschaft bei Latina. Nicht tiefer könnte auch die Kluft zwischen dem gleichsam wilden Furor des alten Peiffer Watenphul und dem asketisch-fragilen Geist des jungen Music sein.
In Peiffer Watenphuls zupackendem Federduktus findet die vielleicht stillste Landschaft Italiens einen unerwartet dramatischen Widerhall. Wenige Grundformen wiederholen sich. Mit expansiv geschwungenen Konturlinien und fleckenartig verdichteten Strichnestern werden die sichtbaren Landschaftselemente – Hügel und Wolken, Olivenbäume und Zypressen – als zeichenhafte Abbreviaturen wie in einer Partitur notiert und in einen raschen, dynamisch skandierenden Rhythmus gezwungen. Der karge Geist der »Crete« scheint vor den Augen des Zeichners förmlich explodiert zu sein. Er vermochte ihn mit beinahe barocken, völlig unkanonischen Mitteln zu evozieren. Diese Blätter sind die letzten Zeugnisse eines Meisters, der sich auch als Zeichner bis zum Ende der Unmittelbarkeit des Erlebnisses auszusetzen vermochte, um dann durch dessen Übersetzung einen Ausdruck zu finden, in welchem Abstraktion und Naturfülle sich gegenseitig aufheben.
In: Max Peiffer Watenphul. Zeichnungen. Kat. Ausst. Staatliche Graphische Sammlung München, hg. von Michael Semff und Susanne Wagini, München 2007.
© Dr. Michael Semff
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors.