Mario-Andreas von Lüttichau
Italien ist maßgebend – Max Peiffer Watenphul. Vom Bauhaus zur Villa Massimo
Den Geist in den Dingen der frühen Landschaften und Stillleben des jungen Max Peiffer Watenphul beschrieb schon Alfred Salmony, Kustos am Ostasiatischen Museum in Köln, zu Beginn der 20er-Jahre, jenes »Sonderdasein, spielerisch und doch symbolhaft verknüpft, irgendwie längst vertraut und doch neu«. Alfred Salmony, Max Peiffer Watenphul, in: Das Kunstblatt, 5. Jg. 1921, S. 272. Alles ist wie selbstverständlich in den ersten in Weimar entstandenen Bildern von Max Peiffer Watenphul, etwa die Kirche mit mächtigem Glockenturm und zwei großen Kreuzen über dem idyllisch, hinter dichtem Baumgrün geduckten Ort, eingeschlossen von weiter Natur und Parklandschaft. Ein weißes Schaf, ein schwarzes Pferd beleben wie zufällig die spärlich blühende Wiese, weißer Flieder ragt in den Blick, dunkler Rauch steigt gebündelt wie aus Kanonenrohren in den leicht bewölkten Himmel, und über dem scheinbar Paradiesischen steht in gelben Lettern geschrieben: WEIMAR •
Ist so jener Ort vorzustellen, dem Lukas Cranach d. Ä. zu einer ersten kulturellen Blüte verholfen hat, den Goethe und Schiller schlechthin zum Genius loci des Klassizismus machten, wo Johann Gottfried Herder seine Idee von humanistischer Bildung und die ›Idee zur Philosophie der Geschichte der Menschheit‹ predigte und Friedrich Nietzsche die Reflexionen über das Nicht-Sein des Lebens niederschrieb, was nachfolgend der Kunst eine neue Gedankenwelt eröffnen sollte, zu Beginn dieses Jahrhunderts der Diplomat und Schöngeist Harry Graf Kessler den Deutschen Künstlerbund gründete und wegen öffentlich gezeigter, ›skandalöser‹ Zeichnungen von Auguste Rodin gehen musste, in der Nachfolge des virtuosen Henry van de Velde der Architekt Walter Gropius eine Schule einrichtete, deren Meister und Lehre bis in unsere Tage Wirkung zeigten? Weimar mit einem lapidaren Punkt – wie ein alles reflektierendes und würdig abschließendes Ausrufezeichen zu verstehen –, so empfindet, so sieht der 24-jährige promovierte Jurist und angehende Künstler Peiffer Watenphul den unschuldig wirkenden Ort, der alsbald nach der ersten weltumspannenden Tragödie und Auflösung des Kaiserreiches zum Mittelpunkt der ersten jungen Republik werden sollte, hier also noch mit einem Anblick, verträumt, vertraulich und vom Realen gelöst.
›Ich habe ein neues Bild gemalt, das Ahornblatt‹, berichtete Max Peiffer Watenphul brieflich aus Weimar seiner Vertrauten Maria Cyrenius Maria Cyrenius (1872–1959), Schülerin von Johannes Itten am Bauhaus; ab 1921 Emailwerkstatt in Salzburg; Peiffer Watenphul verbrachte dort die Sommer 1922 bis 1924. einer ehemaligen Mitschülerin bei Johannes Itten, Weihnachten 1920 nach Salzburg; ›Alles grau, den Vorhang Krapplackrosa mit Weiß. Das Blatt grüne Erde gebrannt. Ganz herrlich ruhig. Wie die Chinesen‹. Im gleichen Brief berichtet er auch über seine bevorstehende Reise nach Hannover, verbunden mit dem Wunsch, Herbert von Garvens-Garvensburg zu besuchen, den Sammler, Förderer und späteren Galeristen. Herbert von Garvens-Garvensburg (1883–1957), vgl. hierzu Katrin Vester, Herbert von Garvens-Garvensburg: Sammler, Galerist und Förderer moderner Kunst in Hannover; in: Henrike Junge (Hrsg.), Avantgarde und Publikum, Köln 1992, S. 93–102. Wie überhaupt in diesem Schreiben die Kenntnis des Zeitgenössischen und der große Kreis von Künstlern, Literaten, Sammlern, Kunsthistorikern und Galeristen offensichtlich wird, in dem sich Max Peiffer Watenphul wie selbstverständlich bewegt. ›Ich bin gestern von Klaus Klaus Gebhard (1896–1976), Sammler von Expressionisten und Förderer zeitgenössischer Kunst, lebte bis 1962 in Wuppertal, anschließend in München. wiedergekommen. Es waren schöne, aber ziemlich ruhige Tage in dieser sehr reichen und gemessenen Umgebung. Kennengelernt habe ich: Dr. Thormaehlen Ludwig Thormaelen (1889–1976), von 1914 bis 1933 an der Nationalgalerie Berlin, Assistent von Ludwig Justi, ab 1925 Kustos; gehörte zum Freundeskreis um Stefan George, war sehr mit Erich Heckel und anderen Expressionisten befreundet. vom Kronprinzenpalais in Berlin, dann einen Freund von Thomas Mann, Dr. Bertram, Dr. Ernst Bertram (1884–1957), Literaturhistoriker, Schriftsteller, stand dem Stefan-George-Kreis nahe und hat folgendes Buch über Friedrich Nietzsche geschrieben: Nietzsche – Versuch einer Mythologie, 1918 (Bonn 1° 1998). berühmt durch das Buch Nietzsche … In meinem Atelier ist es sehr schön. Drei lange Kerzen von einem Meter Länge brennen. Der Engel steht dazwischen. Daneben meine herrliche Negerplastik. Kennst Du das neue Picassobuch bei Piper & Co? Die neuen Picasso[s], ganz kitschig realistisch und salonrosa. Klaus schenkte mir die Moden der Renaissance, ein herrliches Buch, namentlich der Carpaccio, die zwei Kurtisanen. Gosebruch Ernst Gosebruch (1872–1953), ab 1909 Leiter der Essener Kunstsammlungen, von 1922 bis zu seinem Rücktritt 1933 Direktor des Museum Folkwang Essen, Initiator eines der modernsten Museumskonzepte vor dem Dritten Reich; Förderer zeitgenössischer Kunst und Ausrichter der ersten Museumsausstellung 1921 für M.P.W.; vgl. Claudia Gemmeke, Ernst Gosebruch, in: Henrike Junge, wie Anm. 3, S. 11–117. in Essen lud mich für morgen ein. Dr. Hagemann Carl Hagemann (1867–1940), Sammler von Expressionisten, besonders Kirchner, und Förderer zeitgenössischer Kunst; vgl. Karlheinz Gabler, Ernst Ludwig Kirchner, Dokumente, Aschaffenburg 1980 u. a., S. 154. ist bei ihm (dem die Derains gehören), und der interessiert sich für mich. Uhde Wilhelm Uhde (1874–1947), Schöngeist, Schriftsteller, Kunstkritiker, Sammler, Förderer und Galerist; lebte seit 1904 in Paris, war bis 1910 mit Sonia Terck verheiratet – spätere Frau von Robert Delaunay –, befreundet mit Picasso und Braque; Korrespondent für Alfred Flechtheim und Herwarth Walden; vgl. Heinz Thiel, Wilhelm Uhde, in: Henrike Junge, wie Anm. 3, S. 305–320. hat meine Bilder wieder an Flechtheim Alfred Flechtheim (1878–1937), Getreidehändler, Schöngeist und Kunsthändler mit leidenschaftlichem Engagement für die zeitgenössische Kunst, besonders Picasso, Braque und Léger; Galerien u. a. in Düsseldorf und Berlin; vgl. Ausst.-Kat. Alfred Flechtheim, Sammler, Kunsthändler, Verleger, Düsseldorf (Kunstmuseum) 1987. verkauft. Kolle Helmut Kolle (1899–1931), Privatausbildung zum Maler, enge Freundschaft mit Wilhelm von Uhde, lebte seit 1924 ständig in Paris bzw. Chantilly; vgl. Ausst.-Kat.: Helmut Kolle, hrsg. von Hartwig Garnerus, München (Städtische Galerie im Lenbachhaus) 1994. auch ein Bild, das ich ihm 1916 mal schenkte … Aber nun mache ich mit Flechtheim doch den Vertrag. Denn mit 700 Mk. kann ich nach Italien. Und das ist maßgebend.‹ Vgl. Grace Watenphul Pasqualucci und Alessandra Pasqualucci, Max Peiffer Watenphul, Werkverzeichnis, Band 1, Gemälde, Aquarelle, Köln (DuMont Buchverlag) 1989, S. 17 (dort unvollständig zitiert) und Originalbrief im Nachlass.
Italien ist also das Maß gebende und eine kleine Skizze im Brief – begleitet von der kurzen Beschreibung des Wichtigen – verdeutlicht weiter Peiffer Watenphuls künstlerisches Denken, etwa eine Komposition auf wenige erzählerische, wenngleich rätselhafte Bezüge zu reduzieren: das Zusammentreffen eines aufgeschlagenen Buches mit nicht deutbaren Buchstaben und Worten – OriLi LANO –, einer wohlreifen Birne neben eben jenem titelgebenden Ahornblatt, übersichtlich auf einem grauen Tisch mit Schublade dekoriert, vermutlich ein Küchentisch, und dies alles vor bestimmendem, grauem Hintergrund, der sich hinter dem Krapplackrosa des bühnenhaft gerafften Vorhangs weiter fortsetzt.
Zu verschiedenen Gelegenheiten, nicht nur in den Briefen an Maria Cyrenius, hat sich Max Peiffer Watenphul über sein abwechslungsreiches Dasein in Weimar geäußert und über anregende, wie kurzweilig und mitunter aufregende Abendveranstaltungen, Vorträge, Aussprachen oder Konzerte berichtet, ›zu denen Dichter, Philosophen und Künstler von Rang und Ruf aus Deutschland, Österreich und der Schweiz kamen. Ich erinnere mich noch genau an die Lesung der Else Lasker-Schüler. Die Wiener Gruppe [gemeint sind die Schüler von Johannes Itten, die dieser nach Weimar mitgebracht hatte] hatte den Saal mit Gebetsteppichen und jüdischen Leuchtern geschmückt. Die kleine Dichterin mit dem zigeunerhaften Gesicht trat höchst würdevoll auf und sprach ihre Gedichte, die uns tief erschütterten. Auch ihr Freund Theodor Däubler las aus seinen gedankenschweren, von visionären Geschichten erfüllten Dichtungen vor. Franz Werfel kam, gefolgt von seiner Gattin Alma Mahler, der Witwe des Komponisten, die uns interessierte, war sie doch von Kokoschka gemalt Beispielsweise im ›Doppelporträt‹ von 1912/13 (Oskar Kokoschka und Alma Mahler), Museum Folkwang Essen, das zu jener Zeit im Besitz des Hannoveraner Sammlers Herbert von Garvens-Garvenburg war, mit dem Peiffer Watenphul Kontakt pflegte (vgl. hier Anm. 3). Wohl Mitte der 20er-Jahre gelangte Kokoschkas ›Doppelporträt‹ in die Staatliche Gemäldegalerie Dresden, wurde dort 1937 von den Nationalsozialisten als ›entartet‹ beschlagnahmt und befindet sich nach zwei weiteren Besitzerwechseln seit 1976 im Museum Folkwang. und sehr berühmt. Die Tage in Weimar waren jedenfalls immer bunt, bewegt und nie langweilig‹, so das zufrieden wirkende Resümee des Bauhausschülers. Zit. nach Bert Bilzer, Peiffer Watenphul, Göttingen 1974, S. 8. Auch berichtet Peiffer Watenphul, dass etwa Burchartz das geplante Porträt von ihm noch nicht begonnen habe, Vally ihn ebenfalls für ein Studium porträtiere, ›Ich soll auf einem Diwan liegen. Ziemlich viel Krapprosa und Weiß‹, Herwarth Walden Herwarth Walden (eigentlich Georg Levin, 1878–1941), Musiker, Literat, Kritiker, Sammler und Galerist; 1904 Gründung eines ›Vereins für Kunst‹, 1910 Gründung der Literaturzeitung ›Der Sturm‹, ab 1912 bis 1928 auch Galerie und Plattform für die Avantgarde der ersten beiden Dekaden des 20. Jh., Expressionisten, Futuristen, Kubisten, ›Sturm-Künstler‹, usw.; vgl. Georg Brühl, Herwarth Walden und ›Der Sturm‹, Leipzig 1983. das Bauhaus und Weimar besucht habe, Archipenko nach Berlin ginge, Oskar Schlemmer gerade eine kleine Ausstellung habe, ›höchst kultiviert und bezaubernd. Viel Rosa und Silber. Aber auch Grau und mattes Braun‹, er gerade ein fesselndes Buch von Eduard Graf von Keyserling mit dem Titel ›Abendliche Häuser‹ Eduard Graf von Keyserling (1855–1918), Abendliche Häuser, Berlin 1914. lese, Alfred Salmony einen Artikel über ihn im Kunstblatt veröffentlichen werde und er schließlich von Flechtheim eine Mappe mit Lithos der Malerin Marie Laurencin, damals in Paris ausgesprochen en vogue, erhalten habe. Alles in allem, ein zufriedenes Fazit des Künstlers: ›Also Weimar scheint doch das lebendigste der Welt zu sein.‹ Vgl. Grace Watenphul Pasqualucci und Alessandra Pasqualucci, Max Peiffer Watenphul, Werkverzeichnis,Band 1, wie Anm. 12, S. 17 f.
Künstlerisch ist Max Peiffer Watenphul am ehesten von Henri Rousseau abzuleiten, in dessen Werk eine neue ›Innigkeit und Weltliebe‹ ihre Erfüllung noch im vergangenen Jahrhundert gefunden hat. In der Einfachheit seines Kleinbürgertums konnte Rousseau in genialer Weise romantische Sehnsucht mit märchenhaft Geheimnisvollem zu besonderen und großen Kunstwerken vereinen, von deren späterer Bedeutung und Wertschätzung er kaum dunkle Ahnung hatte. Max Peiffer Watenphul darf wohl kaum jene naive Unberührtheit und Unbeschwertheit eines Rousseau für sich in Anspruch nehmen, seine Bilder entstanden in bewusstem Gestalten, absichtsvoll, wenngleich ein zartes und behütetes Lebensgefühl bewahrend.
Rousseaus Bedeutung, besonders in Deutschland, kann dem jungen und gebildeten Künstler nicht verborgen geblieben sein. Spätestens die Beschäftigung mit der Kunstzeitschrift ›Valori Plastici‹, Zur Geschichte der Zeitschrift ›Valori Plastici‹ und der Künstler vgl. Ausst.-Kat. Valori Plastici, Rom (Palazzo delle Esposizioni) 1998. und deren herausragenden Künstlern wie Giorgio de Chirico, Carlo Carrà, Giorgio Morandi, die eingehende Kenntnis von Paul Klee und damit auch der Idee des ›Blauen Reiter‹ werden ihn an das Werk von Henri Rousseau herangeführt haben. Werke wie die Stillleben ›Vom Ahorn fällt schon ein braunes Blatt‹ und ›Das Gardinenfenster‹ oder Porträts wie ›Mutter des Künstlers im Profil‹ oder das ›Bildnis Maria Cyrenius‹ zeigen auch den Rousseauschen Geist, wenngleich Peiffer Watenphul sich eher der Gestik und der Dinge bedient als den Malstil des großen Realisten einfach nachzuüben. Hier sucht und findet Peiffer Watenphul bereits in jungen Jahren mit aller Konsequenz einen persönlichen Stil. Die Bilder des jungen, literarisch wie kunsthistorisch gebildeten Bauhäuslers Peiffer Watenphul jedoch als nur naiv zu sehen, würde die raffiniert inszenierte Malerei verkennen, die sich im übertragenen Sinn weniger an eine vorgeschobene, durchaus glaubhafte Realität hält, sondern vielmehr davon geleitet ist, das Gesehene aus einer intensiven Erinnerung wiederzugeben, eine Mischung aus nobilitierter und trivialer Bilderwelt darzustellen, ganz gleichgültig, ob in den Porträts seiner Mutter, den vielgeliebten Blicken aus dem Atelierfenster in Weimar, den mit antiken Reminiszenzen belebten Parklandschaften in Rom oder einem der verwunschenen, poetisch arrangierten Stillleben.
Die kompositionelle Eigenart der Stilleben etwa war für die in Weimar entstandenen nahezu verbindlich, jene auffallende Ordnung der gezeichneten Dinge in Aufsicht und auf zumeist monochromem Grund, gezeichnet in möglichst einfacher Form und ohne gegenseitige Überschneidung, allenfalls dargestellt in einer geradezu diaphanen, zerbrechlichen Materialität voll surrealer Poesie. Die mehr oder weniger banalen Gegenstände entstammen wohl der täglichen Umgebung des Künstlers, wobei man durchaus auch Phantasiegebilde oder zumindest großzügige Übersteigerungen der Proportionen unterstellen kann. Bisweilen sind diese sonst so spröden und einfachen Formen auch zu kostbaren Dingen mutiert und geradezu edel und emblematisch in Szene gesetzt. Nicht anders verfährt der Künstler mit den in den Raum – zumeist sein Weimarer Atelier – erweiterten Stillleben, in denen der Ausblick in eine reale Umgebung, der Bildgedanke, die Klausur des Künstlers in eine vermeintliche Wirklichkeit überführt.
Vielleicht gerade in diesem Licht folgt Peiffer Watenphul dem metaphysischen Gedanken, wie ihn Giorgio de Chirico einmal beschrieb, wonach alles zwei Aspekte habe: ›den gewöhnlichen Aspekt, den wir fast immer sehen und den jedermann sieht, und den geisterhaften und metaphysischen, den nur seltene Individuen sehen mögen in Momenten der Hellsichtigkeit und metaphysischer Abstraktion. Ein Kunstwerk muß etwas erzählen‹, so de Chirico weiter, ›was nicht in seiner äußeren Gestalt erscheint. Die in ihm dargestellten Gegenstände und Figuren müssen gleichsam poetisch von etwas erzählen, das weit weg ist von ihnen und was auch ihre materiellen Formen vor uns verbergen.‹ Giorgio de Chirico, Sull’arte metafisica, Rom 1919, zit. nach Walter Hess, Dokumente zum Verständnis der modernen Malerei, Hamburg 1956, S. 111.
In dieser Hinsicht verändert Peiffer Watenphul auch die Vorstellung von Natur und ihren natürlichen Proportionen, etwa bei der Wiedergabe von Innenräumen, Landschaften und Gärten, bei der Vorstellung von Straßen und Plätzen, die eher in eine träumerische, vielleicht auch melancholische Vision eingetaucht sind, als dass sie die Absicht verfolgen, eine visuelle Wirklichkeit malerisch sichtbar,topografisch anschaulich zu machen. Allein der Titel von Gemälden wie beispielsweise ›Friedhof in Weimar‹ oder ›Villa Massimo in Rom‹ verweisen oft nur auf den realen Schauplatz des Erlebten, erwecken eine Ahnung von Vorstellung vom wirklichen Ort in der eigenen Erinnerung, verbunden mit einer melancholischen Stimmung, die sich über die Leere der Straßen, Plätze und Gärten legt und das Gefühl des Geheimnisvollen und Rätselhaften betont.
Nicht zuletzt spielt Peiffer Watenphul Stilleben und Gartenlandschaften nebeneinander in bisweilen seltsame Beziehungen zu stellen oder auch in eine völlig fremde Umgebung gemalter Interieurs, die wir für gewöhnlich nicht mit unserer traditionellen Vorstellung in Verbindung bringen. ›Wir konstruieren durch Malerei eine neue metaphysische Psychologie der Dinge‹, so noch einmal de Chirico über die veränderte Wahrnehmung des Raumes und bildnerische Vorstellung der Dinge. Vgl. Werner Haftmann, Malerei im 20. Jahrhundert, München 1954, S. 202.
Werner Haftmann wies in diesem Zusammenhang an anderer Stelle auf die tragische Einsamkeit des Alltäglichen hin und auch auf die geheimnisvolle Existenz des Unbeachteten, die in den Vordergrund gebracht werden und unsere Erinnerung nachhaltig anregen, wenngleich auch stören.
Nicht anders lassen sich Peiffer Watenphuls Weimarer Stadt- oder später Römische Parklandschaften verstehen, wenn streng angewandter Realismus neben die Proportion negierenden Größenverhältnisse zu einer irritierenden Wirkung beitragen und die verzaubernde Realität neben dem Ausdruck des Rätselhaften bisweilen auch das Moment romantischer Erinnerung im Sinne Caspar David Friedrichs enthält.
Keineswegs ist dies zu verstehen als ein Zurückblicken in das vergangene Jahrhundert biedermeierlichen und romantischen Denkens, sondern der junge Peiffer Watenphul erkennt vor allem unter dem Eindruck seiner Begegnung mit den Münchener Pinakotheken und nun auch der Weimarer Bilder- und Kunstschätze den Weg, sich nach dem Ende des Expressionismus, auf den er wohl nur in seinen ›Mexikobildern‹ reagierte, eher an Klassizismen im Geist des Sachlichen zu orientieren oder sogar in einer zurückhaltenden Einfachheit und Ordnung das Nebeneinander des Giottesken zu reflektieren, eben mit tradierten Prinzipien die Welt und die Bezüge der Dinge einfach wie symbolisch darzustellen. Somit auch die Dinge neu zu ordnen, etwa die Kostbarkeit und üppigen Anordnungen der Stilleben vergangener Jahrhunderte gegen gewöhnliche und schlichte Gegenstände des täglichen Gebrauchs einzutauschen, diesen schlichten Formen aber die gleiche Zuwendung und Akribie in der bildnerischen Ausformulierung zu gewähren, wie dies Alexander Kanoldt oder Giorgio Morandi in metaphysischer Ästhetik ausführten, und dies gilt ebenso für die Wiederentdeckung der Architektur als inspirierendem Bedeutungsträger und symbolhaftem Vokabular in poetisch-romantischen Landschaften. Die fremdartige und vielschichtige Bildmetaphorik der Künstler um die Gruppe ›Valori Plastici‹ wie auch die der ›Neuen Sachlichkeit‹ nahe stehenden Künstler erfährt durch Peiffer Watenphul in ihrer Einfachheit einen weiteren Aspekt naiv wirkender, jedoch von Poesie und Liebenswürdigkeit getragener Malerei.
Max Peiffer Watenphuls Weimarer Arbeiten folgen einer kurz nach dem Ersten Weltkrieg breit einsetzenden Tendenz gegen Abstraktion und Expressionismus in der deutschen Kunst, in der die ›äußere‹ Hülle des Gegenstandes und die Schärfe der Konturen eine führende Rolle einnehmen. Diese überwiegend sachliche Nüchternheit und Vereinfachung in der Darstellung geht ebenfalls zurück auf Rousseausche Bildgedanken, wenngleich das Moment der Verschlüsselung einer sichtbaren Wirklichkeit, die eigenwillige und offensichtliche Verbindung von ›reiner‹ Malerei mit ›magischem‹ Realismus auch bei Peiffer Watenphul in den späten 20er-Jahren und vor allem während seines Aufenthaltes in der Villa Massimo in Rom 1931/32 eine neuere Interpretation erfährt und ein Bekenntnis zum Neoklassizismus zu erkennen gibt. Und dies kommt nicht von ungefähr, verlangte Johannes Itten, seit Oktober 1919 Leiter des Vorkurses am Bauhaus, neben Studien zu Proportions-, Farben- und Formenlehre auch Analysen von Gemälden etwa der Renaissancekünstler. Eine Studie Peiffer Watenphuls nach einem Gemälde von Fra Angelico – einer Geburt Christi – hat sich im Bauhaus-Archiv Berlin erhalten, Abb. in: Grace Watenphul Pasqualucci und Alessandra Pasqualucci, Max Peiffer Watenphul Werkverzeichnis, Band 2, Zeichnungen, Emailarbeiten, Textilien, Druckgraphik, Photographie, Köln 1993, Wv.-Nr.-Z 13; vgl. dort auch weitere Bauhausstudien: Wv.-Nr.-Z 7 ff. die frühe und anhaltende Bewunderung für das Werk des Freskenmalers Piero della Francesca ist überliefert. Zudem wurden die Schüler angehalten, die reichen Sammlungen Weimars zu studieren, allen voran die Gemälde des 16. Jahrhunderts von Hans Baldung, gen. Grien, Lucas Cranach dem Älteren wie auch dem Jüngeren und Albrecht Dürer. Eine Faszination Peiffer Watenphuls für die feingliedrigen und charakteristischen Porträts vor so ›modern‹ wirkenden, monochromen Hintergründen kann mit Blick auf seine eigenen Weimarer Werke unterstellt werden. Ebenso die ›Schwäche‹ des Künstlers für detailverliebten, aber vereinfacht wiedergegebenen Naturalismus, um Attribute wie reichverzierte und kostbare Stoffe, edlen Schmuck, zarte Blumengebinde, köstliche Obstschalen oder dergleichen mehr wiederzugeben.
Noch als Jurastudent in München, bevor er 1918 in Würzburg über Kirchenrecht promoviert wurde und anschließend in den letzten Tagen des Krieges Wehrdienst ohne Kriegseinsatz leisten musste, vollzog sich ein wohl entscheidender Sinneswandel im Leben Peiffer Watenphuls, nachdem er der zeitgenössischen Kunst intensiver begegnet war. Seiner Schilderung nach hatte dies für den humanistisch erzogenen und wohl eher konservativ geprägten Studenten noch etwas Anrüchiges. ›Am liebsten‹, so der Jurastudent, ›ging ich in die kleine Kunsthandlung Goltz an der Briennerstraße, wo ich im ersten Stock die wechselnden Ausstellungen besuchte. Ein solcher Besuch hatte etwas von Verbotenem, Gewagtem an sich … denn dort sah ich Dinge, die mir völlig neu waren, die mich geheimnisvoll ansprachen und die ich mir noch nicht deuten konnte.‹ Zit. nach Bert Bilzer, Peiffer Watenphul, Göttingen 1974, S. 5 ff.
Spätestens hier, in dieser damals vielleicht modernst ausgerichteten Galerie Münchens, lernt Peiffer Watenphul auch das ungewöhnliche Werk von Paul Klee kennen, Folgende Möglichkeiten bestanden für Peiffer Watenphul, Werke von Paul Klee im besagten Zeitraum in München im Original zu sehen: 1917: Herbst, ›Sammelausstellung‹, Galerie Neue Kunst Hans Goltz; 3. Ausst.: ›Neue Münchener Secession‹, 18 Werke; 1918: Frühjahr, ›Neue Münchener Secession‹, Graphik in der Galerie Caspari, 30 Werke; Sommer, 4. Ausst.: ›Neue Münchener Secession‹, 24 Werke; 1919: Sommer, 5. Ausst.: ›Neue Münchener Secession‹, 27 Werke; August, ›Moderne deutsche Graphik‹, Moderne Galerie Thannhauser, 10 Werke; September ›Sammelausstellung‹, Galerie Neue Kunst Hans Goltz, 5 Werke. dessen Poesie und Phantasie ihn einvernimmt und er den verständlichen Wunsch hegt, dessen Schüler zu werden. Klee lehnt die ›Ausbildung‹ des Juristen zum Künstler mit den Worten ab, er sei doch kein Lehrer, empfahl ihn jedoch, nachdem er einige seiner frühen Arbeiten im Eindruck neusachlicher Tendenz gesehen haben mag, an den Maler Stanislaus Stückgold. Vgl. hierzu eine Reihe von Aquarellen und Zeichnungen der Jahre 1915 und 1916, in Grace Watenphul Pasqualucci und Alessandra Pasqualucci, Max Peiffer Watenphul Werkverzeichnis, Band 2, wie Anm. 21. Max Peiffer Watenphul war mit dieser Empfehlung nicht glücklich, obwohl sein ›Frühwerk‹, zumeist Zeichnungen und Aquarelle, während des Jurastudiums schon im Geist strenger Sachlichkeit entstanden war. Stanislaus Stückgold zählte unbedingt zu den ersten Vertretern der sich neu etablierenden Realisten. Dessen Arbeiten, von Herwarth Walden geschätzt, wurden 1913 neben Henri Rousseau im Ersten Deutschen Herbstsalon in Berlin zur Unterstützung der realistischen Abteilung ausgestellt. Vgl. Ausst.-Kat.: Erster Deutscher Herbstsalon, Berlin (Galerie Der Sturm) 1913, Kat.-Nr. 342 bis 344, Abb.: ›Porträt der kleinen Judith Wolfskehl‹; von Henri Rousseau waren 22 Arbeiten, überwiegend aus Privatbesitz und deshalb unverkäuflich, ausgestellt, ohne Abbildung im Katalog vermerkt. Es mag vielleicht auch an fehlender Einfühlsamkeit und Poetik bei Stückgold gelegen haben, jedenfalls war dieses nie richtig begonnene Lehrer- Schülerverhältnis sehr bald beendet, und Klee bot sich dem wissbegierigen und angehenden Künstler zur gelegentlichen Korrektur an. Schließlich empfahl dessen Frau, Lily Klee, Max Peiffer Watenphul Weimar, wo im Oktober 1919 das Bauhaus unter Walter Gropius eröffnet wurde. Dort wird er Paul Klee im Januar 1921 als zukünftigem Meister erneut begegnen.
Die kunsthistorische Voraussetzung für die Weimarer und später nachfolgend römischen Arbeiten Peiffer Watenphuls zu Beginn der 30er-Jahre ist sicher vielschichtig. Sie erhält wohl hervorragende Anregung durch die Hauptvertreter der ›Valori Plastici‹, Giorgio de Chirico, Carlo Carrà und Giorgio Morandi, aber ebenso bekommen die Münchner Maler um Schrimpf, Mense und insbesondere Kanoldt nachvollziehbaren Vorbildcharakter, wenn es darum geht, Quellen für die eigenständigen Werke anzuführen. Sichtlich beeindruckend für den jungen Künstler waren auch die Arbeiten von André Derain, sowohl seine frühen Stilleben als auch die mediterranen Landschaften mit ihren aufgetürmten Architekturen. In dem eingangs zitierten Brief erwähnt Peiffer Watenphul den Sammler Carl Hagemann im Zusammenhang mit Werken Derains und einem geplanten Besuch bei dem Essener Museumsdirektor Ernst Gosebruch. Diesem war es mit Hilfe Hagemanns bereits Anfang 1914 – nach der Ausstellung ›Aus den letzten drei Jahrzehnten der französischen Malerei‹ – gelungen, drei Arbeiten von André Derain in der Sammlung des Essener Kunstmuseums auszustellen, darunter das 1912 entstandene Gemälde ›Blick aus dem Fenster‹, Ausstellung Januar 1914 im Essener Kunstmuseum: ›Aus den letzten drei Jahrzehnten der Französischen Malerei‹, von Derain: ›Die Salzteiche von Martigues‹, 1908; ›Ansicht von Cagnes‹, 1910; und ›Blick aus dem Fenster‹, 1912; später erhielt das Folkwang noch ein weiteres Gemälde von Derain aus der Sammlung Hagemann geschenkt: Das ›Stilleben mit Melone‹, 1913; alle Derains wurden im August 1937 im Zuge der Aktion ›Entartete Kunst‹ enteignet. welches für Peiffer Watenphul ausgesprochen weiterführende Wirkung hatte: Das schlichte Stilleben mit Tellern und Kaffeekanne auf dem Tisch, der karge Innenraum und der weite Blick in eine Ideallandschaft mit Kalvarienberg, Dieses Gemälde befindet sich seit der Auktion von Luzern 1939 im Basler Kunstmuseum mit dem Titel ›Der Kalvarienberg‹; es gibt noch eine zweite Fassung dieser Komposition, Abb. in: Ausst.-Kat. André Derain, Paris (Musée d’art moderne de la ville de Paris) 1994, Kat.-Nr. 94 ›Nature morte devant le calvaire‹, 1912; laut Katalog soll dieses Gemälde ebenfalls in der Sammlung Hagemann gewesen sein (?). einem Fluss und Ruderboot. Peiffer Watenphul reduziert ganz offensichtlich diese bei Derain gewonnenen Eindrücke, gestaltet in der Erinnerung und durch den zeitgenössischen künstlerischen Umgang in Weimar die Dinge noch einfacher, in Form und Ausdruck deutlich zurückgenommener. Bei Derain könnte Peiffer Watenphul auch die für dieses Genre noch ungewöhnliche Aufsicht in der Stilllebenmalerei beispielhaft vorgefunden haben. Es ist aber nicht sicher nachweisbar, ob Peiffer Watenphul das ebenfalls von Hagemann stammende und wohl erst Anfang der 30er-Jahre dem Folkwang vermachte, zweifellos sehr dicht gestaltete ›Stilleben mit Melone‹ aus dem Jahr 1913 kannte, welches der in Essen geborene und mittlerweile in Frankfurt lebende Hagemann bei Kahnweiler in Paris erworben hatte. Bei diesem Zusammentreffen nach Weihnachten 1920 in Essen mit Gosebruch und wohl auch in Gegenwart Hagemanns wurde möglicherweise die erste Museums-Ausstellung des jungen Bauhäuslers vereinbart, die dann 1921 im Goldschmidthaus, in dem das Städtische Kunstmuseum seit kurzem untergebracht war, stattfand. Dr. Hans Goldschmidt schenkt im Jahr 1919 der Stadt Essen seine Villa an der Bismarckstraße zur räumlichen Erweiterung der Städtischen Kunstsammlung. Nach dem Ankauf der Osthausschen Folkwangsammlung 1922 wurden beide Villen durch einen großzügigen Anbau verbunden und zum Museum Folkwang ausgebaut, welches 1929 eröffnet wurde. Zur Ausstellung von Peiffer Watenphul in Essen 1921 haben sich keine Dokumente erhalten, das Werkverzeichnis führt das ›Stilleben mit Weintrauben und Birne‹ von 1921 (Wv.-G 22) als damaliges Exponat auf, Abb. in: ›Der Querschnitt durch 1921‹. Marginalien der Galerie Flechtheim, Berlin, Düsseldorf, Frankfurt/Main 1922, S. 135, ›Stilleben (Oel)‹. Die Ausstellung im Essener Kunstmuseum zog den Erwerb des Gemäldes ›Landschaft mit Frau‹ von 1921 ›Landschaft mit Frau‹, 1921 (Wv.-G 24), erworben von Ernst Gosebruch für das Städtische Kunstmuseum Essen 1921, beschlagnahmt am 25. August 1937, seitdem verschollen. Der Bestandskatalog des Museum Folkwang Essen von 1929 ›Moderne Kunst‹ Band 1, weist nachfolgende Arbeiten auf, die alle am 25 August 1937 beschlagnahmt wurden: ›Stilleben‹, 1925, Öl/Lwd., (Wv.-G 79), erworben 1926; ›Spazierengehende Frauen‹, 1920, Aquarell, (Wv.-A 52); ›Frau einen Krug auf der Schulter tragend‹, 1919/20, Holzschnitt, (Wv.-D 2); ›Kleine Reiterin‹, 1920, Radierung, (Wv.-D 3); ›Tête d’or‹, 1920, Lithographie, (Wv.-D 4); ›Sitzendes Mädchen‹, 1920, Kaltnadelradierung, (Wv.-D 5); ›Mädchen eine Amphora füllend‹, 1920, Radierung, (Wv.-D 8); ›Frau an einer Blume riechend‹, 1920, Kaltnadelradierung, (Wv.-D 9). nach sich, der erste Ankauf des Künstlers einer öffentlichen Sammlung überhaupt.
Max Peiffer Watenphuls Zeit am Bauhaus in Weimar kann eigentlich nur als ›inoffizieller Studienaufenthalt‹ bezeichnet werden, wenngleich er den Vorkurs von Johannes Itten erfolgreich abschloss, in verschiedenen Werkstätten hospitierte, unter anderem in der Töpferei und Weberei, Ein Schlitzgobelin hat sich erhalten, Farbtafel in: Ausst.-Kat. Das frühe Bauhaus und Johannes Itten, Weimar (Kunstsammlungen zu Weimar, Bauhaus-Museum), 1994, S. 245, Kat. 356, Bauhaus-Archiv, Berlin. und sich zudem dort intensiv für das Medium der Photographie zu interessieren begann, welches dann besonders während seines Romaufenthalts in der Villa Massimo Anfang der 30er-Jahre künstlerisch Früchte tragen wird. Vgl. hierzu den Ausst.-Kat.: Max Peiffer Watenphul. Ein Maler fotografiert Italien 1927 bis 1934, Berlin (Bauhaus-Archiv) 1999. Die Bauhausleitung gewährte dem promovierten Juristen unter den vielen jungen Schülern am Institut Sonderstatus. Peiffer Watenphul hatte die Möglichkeit, an allen Veranstaltungen teilzunehmen und darüber hinaus das Privileg, ein eigenes Atelier bewohnen zu können. Nur so ist dieses von den Lehren des Bauhauses eher unberührte Frühwerk zu verstehen, dessen Besonderheit Alfred Flechtheim sehr wohl erkannte, und der deshalb den Künstler schon früh vertraglich an seine Galerie zu binden suchte. Auch die gesellschaftlichen Beziehungen zu damals bekannten Sammlern, Dichtern, Schöngeistern und Lebenskünstlern zwischen Berlin, Düsseldorf, München, Rom und Paris zeigen nicht den üblichen Bauhausschüler, sondern einen jungen Intellektuellen, dem die Atmosphäre des künstlerischen Aufbruchs und die Gegenwart der ersten Bauhausmeister entgegenkam. Diesen gewonnenen Eindruck bestätigt auch ein weiteres Schreiben an Maria Cyrenius Ostern 1922 nach Salzburg, dieses Mal von seinem Zuhause in Hattingen. ›Liebste Maria‹, so der Beginn des Briefes, ›eigentlich wollte ich übermorgen schon nach Weimar gehen. Aber nun will ich erst nach Ostern gleich Dienstag fahren … Außerdem habe ich hier auch so viel Ruhe zur Arbeit, daß ich zum mindesten so gut weiterkomme wie in Weimar. Gestern war Gosebruch hier und sehr angetan von meinen neuen Sachen … Nächste Woche kommt er noch mal her und bringt noch Leute mit. Entweder With, Entgegen der Feststellung von Peiffer Watenphul war Dr. Karl With Kunstwissenschaftler für asiatische Kunst und in dieser Disziplin u. a. auch für Karl Ernst Osthaus am Folkwang Hagen tätig. der Leiter vom Folkwang ist, oder Jawlensky, der in Essen ist und dort eine Ausstellung hat. Vom 22. Januar bis Februar 1922 machte die von Galka Scheyer organisierte Ausstellungstournee (Juni 1920 bis Ende 1922) für Alexej von Jawlensky Station im Städtischen Kunstmuseum Essen, vgl. Mario-A. von Lüttichau, Alexej von Jawlenskys Werke in privaten und öffentlichen Sammlungen und ihr Schicksal in der NS-Zeit in Deutschland, in: Ausst.-Kat. Alexej von Jawlensky, Reisen Freunde Wandlungen, hrsg. von Tayfun Belgin, Dortmund (Museum am Ostwall) 1998, S. 82 f. Ich freue mich sehr, wie mein künstlerischer Ruf sich festigt. Jetzt hat auch die Ruhmeshalle in Barmen ein Bild von mir gekauft. Es handelt sich um das Gemälde ›Zimmer von H. G.‹, 1921 (Wv.-G 23), seit dem Zweiten Weltkrieg verschollen. Heute kommt Kielmansegg Wilhelm Graf Kielmansegg war für kurze Zeit Herausgeber der als Fortsetzung der Ausstellungskataloge konzipierten Zeitschrift ›Der Querschnitt‹. her. Ich war schon öfter in Elberfeld bei Klaus, der rührend zu mir war. Er sagte, es wäre jetzt so modern, mit mir zu verkehren … Salmony ist aus Paris zurück und soll viel Material mitgebracht haben, was mich sehr interessieren würde … Ich male nur Menschen, spiele viel Klavier: Haydn, Mozart, Debussy. Lese Claudius, Fleming, herrlich …‹ Zit. nach Grace Watenphul Pasqualucci und Alessandra Pasqualucci, Max Peiffer Watenphul, Werkverzeichnis, wie Anm. 21, Band 2, S. 18.
Neben dem Wunsch, Italien zu bereisen, schien dem noch ›jungen‹ Künstler wichtig, sich in der Kunst- und Galerielandschaft zu etablieren. Seinen weltmännischen Neigungen folgend orientierte sich Peiffer Watenphul zunächst nach Düsseldorf und über die Kontakte von Alfred Flechtheim weiter nach Paris, zu Wilhelm Uhde. Uhde, der seit 1904 in Paris lebte, galt noch zu Lebzeiten Rousseaus als dessen großer Bewunderer – eigentlich sein Entdecker, Sammler und Förderer neben Robert Delaunay, der später den Nachlass verwalten und die Popularität Rousseaus über den Kreis des Blauen Reiter in Deutschland fördern sollte. Darüber hinaus galt Uhde auch als geschätzter Partner und Berater für Alfred Flechtheim in Paris, sei es für französische oder deutsche Künstler, die sich in Paris aufhielten und sich etwa im Café du Dôme ›Café du Dôme‹ – ein Künstlertreffpunkt an der Ecke Boulevard Montparnasse und Rue Delambre. trafen, wie beispielsweise Rudolf Levy, Hans Purrmann, Jule Pascin, Ernesto de Fiori, Carli Sohn-Rethel und andere, Künstler, mit denen Peiffer Watenphul zum Teil noch während des Ersten Weltkriegs bekannt wurde und lebenslange Freundschaften pflegte.
Uhde machte Flechtheim auch mit Daniel-Henry Kahnweiler bekannt, der den Deutschen zunächst als Sammler für zeitgenössische, französische Kunst begeisterte, vor allem für den ›Fauve‹ André Derain und besonders für die Kubisten Pablo Picasso und Georges Braque sowie Fernand Léger und Juan Gris. Dank der intensiven Unterstützung des Ausbaus der Flechtheimschen Galeriepläne nach dem Ersten Weltkrieg, zunächst in Düsseldorf, Frankfurt a. M. und auch Berlin, erhielt Kahnweiler über die Vermittlerrolle und Monopolstelle Flechtheims nachhaltigen Einfluss auf die Verbreitung französischer Kunst in deutschen Privatsammlungen. Vgl. Stephan von Wiese, Der Kunsthändler als Überzeugungstäter, Daniel-Henry Kahnweiler und Alfred Flechtheim, in: Ausst.-Kat. Alfred Flechtheim, Sammler, Kunsthändler, Verleger, Düsseldorf (Kunstmuseum) 1987, S. 45 ff. Flechtheim vergaß aber auch nicht, als Förderer junger Kunst aufzutreten und die seit 1919 unter dem Namen ›Das Junge Rheinland‹ Die wichtigsten Künstler des ›Jungen Rheinland‹ waren u. a.: Otto Pankok, Gert Wollheim, Hans Rilke, Karl Schwesig, Adalbert Trillhase, Theo Champion, Heinrich Maria Davringhausen, Bruno Goller, Adolf Uzarski, Max Ernst, Otto Dix, Conrad Felixmüller, Paul Klee, weiterhin Literaten und Journalisten wie Dornseif, Hannes Küppers, Gert Schreiner. sich sammelnden Künstler mit internationalen, vornehmlich französischen Malern in seiner Galerie in Verbindung zu bringen. Richtig etablieren konnten sich die Mitglieder des ›Jungen Rheinland‹ freilich erst mit Hilfe der genialen Johanna Ey, die ihre Kaffeestube und Kunsthandlung zum Zentrum dieser Bewegung ausbaute und mit der polemischen Kampfzeitschrift ›Das Ey‹ große Breitenwirkung erzielte, die ihr und ihren Freunden Kontakte zu anderen Zentren junger Kunst einbrachten, etwa in München, Dresden, Hannover, Weimar und Berlin. Über Flechtheim stieß auch Peiffer Watenphul zum großen Kreis dieser mehr oder weniger etablierten Künstler des ›Jungen Rheinland‹, die inmitten ihrer ersten wichtigen Entwicklung steckten und in dieser lockeren Verbindung Bestätigung und Halt fanden. Zur Geschichte ›Das Junge Rheinland‹, vgl. Ulrich Krempel, Am Anfang: Das Junge Rheinland, im gleichnamigen Ausst.-Kat. Zur Kunst und Zeitgeschichte einer Region 1918–1945. Düsseldorf (Kunsthalle) 1988, S. 8 ff. Die Beziehung zur Düsseldorfer Szene und zu Johanna Ey sollte für Peiffer Watenphul trotz der vielen Diskussionen in der Kunstszene und Kunstakademie um politische Werte und Reformen der 20er-Jahre Bestand haben und sich ab 1927 während seines Lehrauftrages an der Essener Folkwang-Hochschule bis zum Ausbruch des Nationalsozialismus 1933 intensivieren. Um 1930/31 und nochmals 1934 photographiert Peiffer Watenphul Johanna Ey, vgl. Grace Watenphul Pasqualucci und Alessandra Pasqualucci, Max Peiffer Watenphul, Werkverzeichnis, Band 2, wie Anm. 21, Wv.-P. 50, 51; Ausstellungsbeteiligungen im Zusammenhang mit dem ›Jungen Rheinland‹ erfolgten: 1921 (27.2.–29.3., 2 Gemälde, 1 Aquarell, 1 Radierung: ›Mädchen eine Amphora füllend‹, 1920, Wv.-D 8, Abb. in: Der Querschnitt, Heft 2/3, Mai 1921, S. 911), 1923, 1927, 1931. Für Flechtheims Düsseldorfer Galerie ist auch eine der frühesten Ausstellungen von Peiffer Watenphul überliefert, von Mitte Oktober bis Mitte November 1921. Ausstellung in der Galerie Flechtheim, Düsseldorf, 15. Oktober bis 15. November 1921; laut Werkverzeichnis waren dort u. a. folgende Werke zu sehen: ›Landschaft‹, 1920 (Wv.-G 8), ›Stilleben‹, 1920 (Wv.-G. 11), ›Mutter des Künstlers im Profil‹, 1921 (Wv.-G 26).
Nach Rückkehr von der ersten ausführlichen Italienreise im Winter 1921/22, die Peiffer Watenphul über Rom, Neapel nach Positano führte, besucht er Maria Cyrenius ausführlich in Salzburg, um in ihrer Emailwerkstatt an einer Erneuerung der Emailmalerei zu arbeiten. Diese Stadt wird ihn, vergleichbar mit Venedig, auch noch Jahre später nicht mehr loslassen. Neben den Besuchen bei seiner Vertrauten Maria Cyrenius in Salzburg, wechselt Peiffer Watenphul 1943 nach seiner Lehrtätigkeit an der Textilfachschule in Krefeld an die Kunstgewerbeschule in Salzburg und bleibt dort bis Anfang 1946. Nach 1964 übernimmt er von Oskar Kokoschka für 5 Jahre die Leitung der Sommerakademie für Bildende Künste in Salzburg. Bis zu seiner Reise nach Südamerika im Juli 1924, pendelt Peiffer Watenphul zwischen Weimar, wo er noch bis Ende 1923 einen Wohnsitz behalten sollte, Düsseldorf, wo er im Januar 1923 ein großes ›viel Heizung‹ kostendes Atelier beziehen wird, und dem heimatlichen Hattingen. ›Einstweilen ist alles nur provisorisch‹, berichtet er an Maria Cyrenius nach Salzburg. Seine Hoffnung, an der Essener Handwerker- und Kunstgewerbeschule eine Emailwerkstatt einzurichten, oder überhaupt an der jungen, inzwischen bekannt werdenden Ausbildungsstätte zu unterrichten, sollte sich zunächst nicht realisieren lassen. Die Zeiten erwiesen sich nicht gerade förderlich für die bildenden Künste, die Einrichtung einer Schule im Sinn der Osthausschen Folkwangidee gestaltete sich noch schwierig.
Ohne weitere Bindung entschließt sich Peiffer Watenphul im Juli 1924, nach Mexiko zu reisen, wo sich seine Malerei unter dem Eindruck des Landes, des Klimas, der Landschaft wie Fauna entschieden verändern wird. Die Farbigkeit seiner Arbeiten wird ›bunter‹, der Pinselduktus sehr viel kräftiger, geradezu expressiv, die Sujets der Gemälde ›tropisch‹, wie Peiffer Watenphul Maria Cyrenius berichtet: ›Ich glaube, in Deutschland erwartet man von mir so Urwaldbilder im Stil Rousseaus, man wird sicher sehr enttäuscht sein, denn ich sehe hier alles so anders. Bunt, halbkitschig und doch so unendlich reizvoll.‹ Vgl. Grace Watenphul Pasqualucci und Alessandra Pasqualucci, Max Peiffer Watenphul Werkverzeichnis, Band 2, wie Anm. 21, S. 24. Unter anderem war er auch ›mit dem Malen von Dekorationen für das deutsche Fest, Die Kleinstädter von Kotzebue, beschäftigt … Kulissen von 9 x 7 Meter. Das mußte ich ganz allein auf dem Fußboden hockend malen.‹ Vgl. Grace Watenphul Pasqualucci und Alessandra Pasqualucci, Max Peiffer Watenphul Werkverzeichnis, Band 2, wie Anm. 21, S. 20 f.
Diese Wandlung im Malstil konnte kaum deutlicher ausfallen, sie blieb im Grunde neben dem Ortstypischen das auffällige Merkmal der Mexikobilder. Zurück in Europa, im Frühjahr 1925, erinnert Peiffer Watenphul sich wieder des Stils der Weimarer Zeit, der augenfällige mexikanische Farbenenthusiasmus erlischt allmählich. In dieser Verbindung von unterschiedlichen Temperamenten entstehen zunächst vermehrt Stilleben, deren dargestellte Dinge kräftig ausgeprägt und zugleich gewohnt manieriert in der Zeichnung sich geben, sowie wenige Landschaften, zumeist Zeugnisse von ausgedehnten Reisen in den Süden, nach Jugoslawien, Italien und Frankreich.
Noch bevor die eigentlichen Folkwang-Schulen sich im Juli 1927 bzw. Februar 1928 die Statuten geben sollten, erhält Max Peiffer Watenphul durch den damaligen Direktor, den Architekten Alfred Fischer den Auftrag, die Fächer Entwurf, Email, Stickerei und später auch die so wichtigen Vorklassen an der Handwerk- und Kunstgewerbeschule, ganz in Anlehnung an den Ganzheitsanspruch und Stil des Bauhauses, zu übernehmen. Peiffer Watenphul sei hervorragend geeignet, so eine Beurteilung, weil er durch ein ›klar aufgebautes, systematisches Lehrprogramm mit den allgemeinen Mitteln der künstlerischen Gestaltung vertraut mache und die Grundsätze über Formen und Farben zu vermitteln verstehe‹. Dr. Käthe Klein, Aus der Geschichte der Folkwangschule für Gestaltung, Essen 1965, S. 30. Kurz zuvor kam der Bauhausabsolvent Max Buchartz für die Abteilung Werbegrafik und Fotografie nach Essen und 1928 übernahm Grete Willers, ebenfalls Schülerin am Bauhaus, die Abteilung für Stickerei und Weberei. Alte Bekannte noch aus Weimarer Zeit trafen sich in Essen – nunmehr hinter dem Katheder – wieder. In Essen schließt Peiffer Watenphul auch Bekanntschaft mit weiteren Meistern, etwa mit dem Bildhauer Joseph Enseling, der die Bildhauerklasse führte, oder dem Maler Karl Rössing, dem der Fachbereich Buchkunst anvertraut war. Rössing sollte gleichzeitig wie Peiffer Watenphul die Zeit an der Villa Massimo in Rom verbringen.
Der Lehrauftrag an den Folkwang-Schulen ermöglichte dem Künstler ein erneutes Stück Unabhängigkeit und eröffnete in dieser finanziellen Sicherheit auch die Möglichkeit, viel zu reisen, etwa nach Berlin, Monte Carlo, Paris, London, Venedig, Marokko und immer wieder auch nach Rom. ›Montag bis Donnerstag von acht bis zwei muß ich dort in meinem Atelierraum sein, zweimal in die Klasse zur Korrektur gehen. Bekomme 430 M. Also man kann nur von einem irrsinnigen Glück sprechen‹, so Peiffer Watenphul an Maria Cyrenius nach Salzburg. Annähernd vier Jahre sollten diese paradiesischen Zeiten anhalten. 1931 wurde Peiffer Watenphul mit dem begehrten Rom-Preis ausgezeichnet, verbunden mit einem neunmonatigen Aufenthalt an der Preußischen Akademie der Künste in der Villa Massimo. In Rom entscheidet sich langfristig gesehen die Zukunft als Künstler und auch das persönliche Umfeld. Max Peiffer Watenphul geprägt vom Ruhrgebiet, geprägt vom Weimarer Bauhaus und den Folkwang-Schulen in Essen war seinem geliebten Italien nun ganz nahe gekommen.
In: Max Peiffer Watenphul und Italien. Ausst.-Kat. zur gleichnamigen Ausstellung im
Museo Nazionale di Castel Sant’Angelo, Rom 2000, Edizioni de Luca 2000.
© Dr. Mario-Andreas von Lüttichau
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors.