Max Peiffer Watenphul

Deutsche Entartete Kunst und Biennale

[November 1948]

Bilderstürme sind im Laufe der Geschichte recht häufig gewesen: neue Ideen, meist religiöser Art, tauchten auf. Das Alte wurde bekämpft, die alten Symbole und Bilder wurden entfernt und vernichtet.

Einer der besten organisierten Bilderstürme war der des Nationalsozialismus gegen alles, was künstlerisch nicht seinen Ideen diente. Es wurde bequemerweise als Entartete Kunst bezeichnet und sollte entfernt werden. Im Grunde kam diese Einstellung dem mittleren Bürgertum durchaus entgegen und wurde von ihm freudigst begrüßt. Endlich brauchte man vor einem Bildwerke nicht mehr herumzurätseln, man konnte sich an Bildern, die wie kolorierte Photos aussahen und einer Idee dienten oder in billiger Weise Wunschträume erfüllten, erfreuen.

Maler, die diesen Forderungen der Partei entgegenkamen, wurden hofiert und bezahlt und sehr gefeiert. Maler, die sich diesen Forderungen nicht fügten, waren theoretisch eigentlich zum Hungertode bestimmt, sie konnten nicht ausstellen, nicht verkaufen, und sie bekamen, da sie nicht zur Reichskulturkammer gehörten, kein Malmaterial.

In der Praxis war es dann natürlich doch anders. Die alten Sammler unterstützten die Künstler weiterhin, Freunde schenkten ihnen Farben und Material (für die es eine Art von Schwarzmarkt gab), und so überlebten fast alle als entartet erklärten Künstler diese kritische Zeit. Auf Rosen war keiner gebettet.

In einer berüchtigten Ausstellung in München wurde an Beispielen gezeigt, was als entartet aufzufassen sei. Hier waren alle bedeutenden Namen der modernen deutschen Kunst vertreten. Spezielle Kommissionen machten die Runden durch alle Museen Deutschlands und entfernten rücksichtslos jedes moderne Bild.

Die Bilanz dieser Reinigungsaktionen ist erschreckend. Alle deutschen Museen haben ihren gesamten Besitz an moderner Kunst verloren. Da man auch vor ausländischen Künstlern nicht haltmachte, wurden auch die Bilder von Picasso, Derain, Braque, Gauguin, Munch etc. rücksichtslos entfernt und die Museen um sehr bedeutende Werke gebracht. Die Münchener Galerie z. B. verlor auf diese Weise 98 Gemälde, das bedeutende Museum in Mönchen-Gladbach 100 Bilder, Nürnberg 120 Arbeiten, Hannover 270 Werke. Ein Teil davon wurde auf einer berühmten Auktion in Luzern versteigert. Andere verschwanden, und man weiß nicht, wohin. Die Künstler selber arbeiteten still in der Anonymität in Deutschland weiter. Grosz und Max Ernst hatten das Land schon vor dem Nationalsozialismus verlassen, andere emigrierten später: Beckmann, Kokoschka, Klee.

Viele hielten sich hauptsächlich im Ausland auf (Peiffer Watenphul z.B.), und andere, wie Dix, lebten sehr still auf dem Lande.

Für die Künstler der älteren modernen Kunst, die bereits geformt waren und ihr künstlerisches Gesicht hatten, war die Zeit schwierig, aber erträglich. Katastrophal war sie für die Jungen und die Lernenden, die völlig abgeschlossen von der Welt lebten, nicht wußten, was draußen gearbeitet wurde, und nie ein modernes Kunstwerk zu sehen bekamen.

Natürlich war das Interesse für die deutsche Kunst, die so lange hinter einer Art eisernem Vorhang gelebt hatte und nun endlich wieder auf einer Veranstaltung wie der Biennale erscheinen durfte, bei dem internationalen kunstinteressierten Publikum sehr groß. Was hatten die deutschen Künstler in der Zwischenzeit geleistet? Wo stand die Jugend?

Leider war die Enttäuschung über die deutsche Abteilung auf der Biennale dann aber recht groß, denn man fand zwar die meisten bekannten Namen, neben einigen Jungen, vertreten, fand aber, daß sie absolut nicht standhielten gegenüber dem übrigen hohen Niveau der Ausstellung. Dies ist recht bedauerlich, aber wohl weniger auf die momentanen Leistungen der deutschen Künstler zurückzuführen als auf ganz andere Dinge. Die deutschen Kunstwerke wurden in letzter Minute eiligst zusammengebracht. Dazu kamen Transportschwierigkeiten, Beschränkung der Formate und andere Komplikationen. Die deutsche Abteilung kann aber auf keinen Fall als eine Übersicht über das gelten, was in Deutschland in den letzten Jahren gearbeitet worden ist. Außerdem fehlen einige sehr wichtige Namen (Nolde, Beckmann, Kirchner z. B.). Andere, die früher als Repräsentanten deutscher Kunst angesehen wurden, sind gesondert gehängt (Klee, Kokoschka). Andere, die in Italien leben (Peiffer Watenphul, Bargheer), hängen auch nicht in der deutschen Abteilung.

So gibt also der deutsche Raum absolut keinen richtigen Eindruck der deutschen Kunst der letzten fünfzehn Jahre. Dix ist sehr schwach vertreten, desgleichen Hofer, Pechstein und Heckel.

Die mittlere Generation fehlt fast völlig, und die ganz Jungen, die man gehängt hat, zeigen noch kein eigenes Gesicht und malen in der Nachfolge Klees, Picassos oder Max Ernsts. Genau so wie die jungen Maler in Buenos Aires, Rom, London, New York malen.

Sehr wichtig ist es, bei dieser Gelegenheit noch einmal auf den großen Einfluß des Bauhauses hinzuweisen (Klee, Kandinsky, Feininger lehrten unter anderen). Die Experimente, die 1921 dort von einem kleinen belächelten Kreise gemacht wurden, sind jetzt Allgemeingut geworden und fast populär (ich erinnere nur an die Stahlmöbel, die das Bauhaus propagierte, an die klaren, einfachen hellen Wände ohne Muster, an die ganz moderne Architektur).

Eine Sammlung wie die Sammlung Guggenheim und die Abteilung der jungen Italiener z. B. wirkt genau wie eine der damaligen Bauhausausstellungen mit den zahlreichen Experimenten der Schüler in Glas, Draht, Metall und anderen Materien und den verschiedenen Kompositionen und Abstraktionen. Aber was damals neuartig und einmalig war, wirkt heute vielfach leer und überholt, denn einmalige Dinge können nicht wiederholt werden. Die ersten Bilder von Klee und Picasso waren eine Tat, ein Wagnis und ein Abenteuer in unbekannte Gebiete. Die Wiederholung der Schüler und die Imitationen sind eine leere, wertlose Angelegenheit, die das Rad der Kunst nicht weiterdrehen werden.

In: Max Peiffer Watenphul. Werkverzeichnis. Bd. I. Hg. von Grace Watenphul Pasqualucci und Alessandra Pasqualucci, Köln 1993.


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